Gabe des Blutes
Traumland.« Para ging im Raum umher, während sie mit ihm sprach, und räumte Dinge auf, die er achtlos irgendwo hingestellt hatte, einschließlich eines leeren Weinglases neben seinem Sessel. »Sie hat dauernd nach Euch gefragt«, sagte sie vorsichtig.
»Du hast dich viel besser um sie gekümmert, als ich es gekonnt hätte«, erwiderte er leise.
»Soll ich Euch Bescheid sagen, wenn sie aufwacht, damit Ihr sie besuchen könnt? Dieser Pharmazeut wollte zu ihr«, fügte Para mit verärgerter Miene hinzu, »aber ich glaube, dass Schlaf die einzige Medizin ist, die sie braucht. Und viel gutes warmes Essen. Sie hat gegessen wie ein hungriges Tier. Ich musste sie bremsen, damit ihr nicht übel wurde.«
»Dann hast du den Apotheker also weggeschickt, wenn ich das richtig verstehe?«, fragte er und blickte sie mit seinen haselnussbraunen Augen forschend an, wobei der Ausdruck in seinem attraktiven Gesicht ihm ein jungenhaftes Aussehen verlieh. Angesichts seines ziemlich dunklen und bedrohlichen Blicks war das ein überraschender Gegensatz. Es entlockte Para ein warmes Lächeln.
»Jawohl«, sagte sie und straffte herausfordernd die Schultern. »Er ist schlicht und einfach ein Quacksalber. Sie ist besser dran mit Kräuterpackungen auf den Wunden und, wie ich schon gesagt habe, mit Essen und Schlaf.«
»Para«, sagte er warnend, »ich mag es nicht, wenn jemand ohne Rücksprache mit mir gegen meine Befehle verstößt. Ich hätte mir deine Einwände angehört. Du hättest das nicht hinter meinem Rücken tun sollen.«
»Das war weder hinter Eurem Rücken noch eine Missachtung Eurer Befehle, mein Primus«, entgegnete sie bestimmt. »Ihr habt nie ausdrücklich gesagt, dass sie den Mediziner sehen soll. Sie hat geschlafen, sich ausgeruht und war endlich zur Ruhe gekommen. Dieser Dummkopf hätte sie nur wieder aufgeregt. Vor allem, wenn er sie angefasst hätte. Sie hat ja schon mir und Tetra kaum erlaubt, sie zu berühren.«
Reule hob eine Braue und stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf, um Pariedes anzuschauen und die seltsame Bemerkung zu schlucken. »Hat sie sich gegen dich gewehrt?«, fragte er.
»Sie ist regelrecht ausgerastet, mein Primus«, teilte Para ihm mit einem Schnauben mit. »Und wenn ich das so sagen darf, mir graut davor zu erleben, wie stark das Mädchen erst in gesundem Zustand ist.«
Para hatte nicht ganz unrecht, dachte Reule, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete seine Dienerin. Er dachte daran, mit welcher Kraft sie sich an ihn geklammert hatte. Es war ein weiteres Stück in dem Rätsel ihrer Identität.
»Na gut. Ich will, dass du sie behandelst, als wäre sie ein Baby, Para. Schau regelmäßig nach ihr und pass auf sie auf. Tetra ist eine gute Wahl. Sorg dafür, dass sie dir hilft, damit es nicht zu viel für dich wird.«
»Ja, mein Primus«, sagte sie und verbeugte sich kurz und respektvoll, bevor sie aus dem Raum eilte.
Sobald sie weg war, ging Reule zum Kamin zurück, stand mit gespreizten Beinen da und starrte erneut grimmig in die Flammen. Fragen und Befürchtungen wirbelten ihm durch den Kopf. Er wusste, dass er im Moment alles auf sich beruhen lassen und ins Bett gehen sollte. Die meisten aus dem Rudel waren schon im Bett, bis auf Darcio und ihn. Darcio saß ebenfalls da und grübelte, und Reule fühlte sich deswegen schuldig. Er wusste, dass Darcio sich nach den Schmerzen aus den Erinnerungen ihres unerwarteten Gasts vor seinen Träumen fürchtete. Es gab keine Möglichkeit, ihm zu helfen. Er kannte seinen Gefolgsmann gut genug, um zu wissen, dass dieser in einer solchen Situation lieber allein Innenschau betrieb.
Es lohnte sich nicht, weiter über das Geheimnis der fremden Frau nachzudenken. Er kam vorerst ohnehin nicht dahinter. Doch Reule konnte auch seine heftige körperliche Reaktion auf sie nicht ausblenden. Nicht nur, weil er den Nachklang ihres an ihn geschmiegten Körpers, ihrer Wärme und ihrer Finger in seinen Haaren nicht loswerden konnte … Nein. Es ging darum, dass er beinahe die Kontrolle verloren hätte. Das verstörte ihn.
Wenn ein Sánge-Mann in Reules Alter kam, war er seit gut zwanzig Jahren in seiner sexuellen Hochphase. Oh, er kannte die wahre Kraft der körperlichen Vereinigung seit er zwanzig war. Doch die meisten Männer machten einen riesigen Entwicklungsschritt in ihrer Sexualität um die siebzig herum, und diese nächste Phase hielt ungefähr fünfzig Jahre an, bis sie allmählich etwas ruhiger wurden. Frauen durchliefen eine ähnliche
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