Gabe des Blutes
beeinflussen. Ich denke, er versucht, ihn dazu zu bringen, Drogen zu nehmen.«
»Das wird er nicht tun.«
»Doch, er wird«, widersprach Darcio leise. »Sogar Chaynes Grundsätze geraten unter solchen Qualen ins Wanken.«
Reules schwermütige Gedanken waren bei Chayne und dessen Zustand, als er kurz darauf den Speisesaal des Rudels betrat. Bis auf zwei Stühle waren alle mit seinen Rudelgefährten besetzt. Die Zeit, als Chayne bei Bewusstsein war, hatte ihre Spuren bei ihnen hinterlassen, auch wenn sie zweifellos versucht hatten, ihre Empathie auszuschalten. Doch ein Rudel zu sein, bedeutete, dass es immer eine gewisse Verbindung gab und dass Emotionen und Schmerzen so heftig waren, als wären sie wahre Blutsbrüder.
Reule trat an den Tisch und legte die Hand auf die Rückenlehne von Chaynes Stuhl. Das Rudel verstummte, und alle senkten den Kopf zum Gebet für ihren leidenden Freund. Einen Augenblick später ging Reule zum Kopfende der langen Tafel, wo er sich niederließ.
»Es sieht nicht so aus …«
Reule hielt inne, als ein Geräusch in der Nähe des Eingangs seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Das Rudel sah, wie er sich plötzlich erhob, und fünf Augenpaare folgten seinem Blick. Alle Rudelmitglieder standen von ihren Stühlen auf, als sie auf der Türschwelle Mystique stehen sahen, die angesichts des allgemeinen Aufruhrs und dem Schleifen der Stühle auf dem Marmorboden ein wenig zu erschrecken schien.
Es geschieht ihr recht, wenn sie erschrickt, dachte Reule schmunzelnd. Das war nur fair, weil ihr Anblick auch ihm einen Schock versetzte und ihm den Atem nahm. Und er nahm an, dass es seinen Männern nicht viel anders ging.
Para hatte sie in Silber gekleidet.
Para war ein Genie.
Das Kleid entsprach der neuesten Mode am Hof. Es war schlicht: eine Empire-Taille, die unter den Brüsten ansetzte, ein fast schon unanständig tiefer Halsausschnitt, und halblange Ärmel, die dann spitz zuliefen, passend zu der kurzen Schleppe, die über den Marmorfußboden glitt. Sie trug Spitzenhandschuhe, die bis über die Handgelenke hinaufreichten, wahrscheinlich eher um die Verletzungen zu verbergen als aus modischen Gründen, und ein Damenfächer baumelte an einem Handgelenk.
Und erst ihr Haar …
Para hatte die blutroten Locken zu einer Hochfrisur aufgesteckt, und nur eine einzige dicke Locke schmiegte sich an ihren Hals und fiel bis auf ihren hochgeschnürten Busen. Sie ließ die zarten Ohren frei und betonte ihren schlanken Hals. Sie trug ein schlichtes Silbermedaillon um den Hals, die Kette war dünn und der Anhänger nicht größer als ein Daumennagel. Das Überkleid aus Silberkrepp und das Unterkleid aus silbernem Tuch schimmerten prachtvoll an ihrem Körper, betonten ihre Haarfarbe wie auch das Funkeln der diamantenen Augen, aus denen sie ihn anlächelte.
Reule nahm ihren göttlichen Duft wahr, lieblich und rein, den Geruch nach Vanille und den unwiderstehlichen Wohlgeruch, der ihr eigener war. Er spürte, wie sein Körper augenblicklich reagierte. Jeder Nerv erwachte und war aufnahmebereit, jeder Muskel spannte sich.
Er trat auf sie zu und streckte ihr zum Willkommen die Hand entgegen mit der Handfläche nach oben. Sie lächelte ihn an, doch er spürte, wie ihr Zögern ihm ein Prickeln auf der Haut verursachte, als sie ihre prismatischen Augen über die Rudelgefährten wandern ließ, die voller Ehrerbietung dastanden. Reule folgte ihrem Blick zu seinen Männern und stellte fest, dass diese sie ganz unverhohlen anstarrten. Ihr war nicht klar, dass deren Starren und das Verstummen das größte Kompliment waren.
»Mylady Mystique«, sagte Reule laut, während er vor sie hintrat und sie sanft in den Raum zog, nachdem sie ihre Hand in seine gelegt hatte. »Wir sind höchst erfreut, dass Ihr uns Gesellschaft leistet.«
Er führte sie die wenigen Schritte an den Tisch, wobei sie gegen ihn stieß, als sie den Schutz seiner kräftigen Gestalt suchte. Reule blickte hinunter in ihre glitzernde Iris, während ein Lächeln um ihre pinkfarbenen Lippen spielte.
»Pariedes hat gesagt, dass Sánge-Frauen so etwas tragen«, flüsterte sie und berührte das Kleid mit der Hand, während sie zu den Männern spähte, die sie noch immer anstarrten. »Ich glaube nicht, dass ich früher so etwas getragen habe. Habe ich etwas falsch gemacht?«
»Nein, Kébé . Du siehst wunderschön aus. Ich glaube, mein Rudel ist einfach nur überrascht zu sehen, wie sehr du dich verändert hast, seit sie dich das letzte Mal gesehen haben«,
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