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Gabe des Blutes

Gabe des Blutes

Titel: Gabe des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacquelyn Frank
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Witz. Es machte ihnen großen Spaß, sie zum Lachen zu bringen. Rye war, wie sie feststellte, hin- und hergerissen. Er wusste nicht recht, was er von ihr halten sollte, doch zumindest gab er ihr während des Abendessens einen Vertrauensvorschuss, sodass sie sich freundlich unterhalten konnten.
    Doch im Grunde zählte nur die Meinung eines einzigen Mannes für sie, dachte sie, während sie mit der Gabel in ihrem Essen stocherte und ihm wieder verstohlene Blicke zuwarf. Sie seufzte und sagte sich, dass sie wirklich andere Sorgen hatte. Sie wusste nicht, wer sie war und woher sie kam und was mit ihr passiert war.
    Doch es kümmerte sie nicht.
    Nein. Tief in ihrer Seele fühlte sie, dass sie genau da war, wo sie sein sollte. Genau da, wo sie sein musste. Außerdem würde es wahrscheinlich nichts nützen, wenn sie sich zwang, sich zu erinnern. Also konzentrierte sie sich lieber auf die Gegenwart.
    Und ein bisschen auf die Person zu ihrer Rechten.
    Mystique errötete, als sie Reules haselnussbraunen Augen begegnete. Etwas an seiner Art, sie anzusehen, ließ nicht nur ihre Haut prickeln. Seine Augen blickten ausgesprochen hungrig. Viel zu hungrig für einen Mann, der gerade gegessen hatte. Sie versuchte, ihren plötzlich beschleunigten Atem zu beruhigen, doch ihr Herz klopfte so heftig, dass sie den zusätzlichen Sauerstoff brauchte, damit sie in dem engen Korsett nicht ohnmächtig wurde. Mystique war an einer Tafel voller Telepathen und Empathen ein wenig im Nachteil. Sie fürchtete, dass jeder wusste, was sie empfand und was sie dachte. Doch es machte ihr nicht besonders viel aus. Etwas Gutes hatte es, wenn man ein unbeschriebenes Blatt war: Man war niemandem verpflichtet. Als Gast an einem fremden Ort musste sie zwar darauf achten, dass sie diejenigen, die ihr Schutz boten, nicht verstimmte, doch sie hatte bereits die mächtigste Stimme in dieser Herberge auf ihrer Seite.
    Eigentlich waren diese Männer nur wegen ihrer politischen Position wichtig für Reule. Doch da war noch etwas anderes. Sie standen ihm sehr nah. Das hier waren Freunde.
    Nein. Es waren Brüder, wie sie feststellte. Es war, als würde das gleiche Blut in den Adern dieser Männer fließen. Zwischen ihnen herrschte eine Harmonie, die ihr Verständnis überstieg. Eine Verbindung von Position und Pflicht. Sie war so stark, dass es ihr erneut den Atem verschlug. Als sie diesmal zu Reule blickte, geschah es in dem Wissen, dass er ein Mann war, der die bedingungslose Loyalität und Ergebenheit dieser anderen fähigen Männer verdiente. Es war eine plötzliche Erkenntnis, und unwillkürlich legte Mystique eine Hand auf seine und ließ ihre kleinen Finger über seinen Handrücken gleiten.
    Sie sah, wie sich seine Pupillen bei der Berührung weiteten, spürte die kinetische Energie seiner Überraschung und freute sich über das Lächeln, das in seinen Mundwinkeln erschien.
    Reule blickte auf die kleine Hand, die auf seiner lag, und in seinem Lächeln zeigte sich eine gewisse Verwirrung. Niemand, der nicht zu seinem Rudel gehörte, würde es je wagen, ihn zu berühren, doch sie tat es die ganze Zeit. Er sagte sich, dass sie das nur tat, weil sie die Feinheiten der Sánge-Etikette nicht kannte, doch er wurde den Gedanken nicht los, dass es ihr trotzdem egal wäre. Irgendetwas an ihr sagte ihm, dass sie tat, was sie wollte, ohne sich um die Meinung der anderen zu scheren.
    Reule schloss seine Finger um ihre Hand und drückte sie leicht, und er spürte ihre Freude über diese Geste. Tatsächlich spürten es alle an der Tafel, und das verriet, wie stark das Gefühl war. Reule bemerkte, wie das Rudel überrascht verstummte, bevor Amando, der zu ihrer Linken auf Chaynes Stuhl saß, sich vorbeugte, um sich noch ein Hefegebäck von dem geschrumpften Haufen zu nehmen.
    »Diese Reise wird nur zwei Wochen dauern, weil wir bloß bis zum Harth-Stützpunkt in der Pripan-Wüste reiten, das letzte Mal vor dem Winter«, sagte er zu Mystique, als unterhielten sie sich schon die ganze Zeit darüber. »Leider haben die Pripans keine Ahnung von anständiger Küche. Ich vermisse unser Hefegebäck, wenn ich unterwegs bin.«
    »Die Köchin packt ihm immer die Satteltaschen damit voll, und wenn sie weiß, dass er am Tisch sitzt, häuft sie sie auf den Teller.« Rye lachte laut auf. »Weißt du, er hat sie bezirzt. Das meiste von dem, was hier steht«, er wies auf das Essen, »sind seine Lieblingsspeisen.«
    »Wenn er nicht wüsste, wie man jemanden bezirzt, wäre er als Gesandter nicht

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