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Gabriel - Duell der Engel

Gabriel - Duell der Engel

Titel: Gabriel - Duell der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Bergmann
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stößt man sie um, falsch, sie stoßen sich gegenseitig um, aber anstatt eines zerstörten Feldes entsteht ein neues Bild, noch während sie fallen, kann man sehen, wie aus Altem Neues wird, nicht schlechter, nicht besser, nur – anders. Bei diesen Steinen frage ich mich, ob sie wirklich die Trauer über Zerstörtes durch eine neue Art des Seins vollständig tilgen, oder ob sie vielmehr ihrem Tod ein neues Gesicht verleihen, welches jedoch die eigentliche Gestalt nicht auslöscht, sondern sie nur verkleidet, sodass man sie nicht kommen sieht, sodass sie sich unbemerkt heranschleichen kann und wir sie für etwas Schönes halten, nur weil sie ein neues Gesicht verpasst bekommen hat.
    Nun frage ich mich: Welche Steine machen mir mehr Angst?

15. Mai 2012, 13:25 Uhr
    Â 
    Sie war so wunderschön. Mir war gar nicht aufgefallen, wie lang ihr Haar geworden war. Bis auf ihren Rücken hing es nun. Eine einzelne Strähne hing ihr ins Gesicht, die nur bis zum Mundwinkel reichte und andauernd vor die Augen fiel. Sonja wischte sie dann mit ihrer rechten Hand fort. Natürlich half das nicht lange, sodass die Strähne kurze Zeit später wieder vor ihrem Auge landete. Sonja schob sie abermals weg. Die Strähne fiel kurz darauf wieder davor. Immer das gleiche Spiel. So wunderschön. Wie das Blau ihrer Augen unter der braunen Strähne umso deutlicher hervorschien, wenn sie sie gerade wegschob. Wie unheimlich schön ihr gesamtes Gesicht aussah: Die eisblauen Augen, der kirschrote Mund (merkwürdig, dabei benutzte sie gar keinen Lippenstift), die leicht geröteten Wangen. Aber nur leicht. Denn irgendwie sah sie blass aus. Blass und traurig.
    Ich hockte hinter einem am Straßenrand geparkten Passat und beobachtete sie durch die Scheibe. Fühlte mich ein bisschen unwohl, ein bisschen glücklich, ein bisschen nervös. Was sollte ich sagen? Aber irgendetwas musste ich doch tun! Ich konnte mich ja schlecht so lange hinter dem blöden Auto verkriechen, bis Sonja verschwunden war. Doch ich blieb feige und passiv wie immer und rührte mich nicht. Genoss den Augenblick. Dachte nicht an sein drohendes Ende.
    Irgendwie schien auch Sonja unruhig. Andauernd blickte sie sich um, als sei jemand hinter ihr. Als fühle sie sich verfolgt. Als spüre sie, dass sie nicht allein sei. Na ja, schließlich war sie es auch nicht. Moment – konnte es sein, dass sie mich spürte? Mein Herz machte einen Rückwärtssalto, doch die Landung klappte nicht und es brach sich ein Bein. Ich konnte es leise wimmern hören. Geschah ihm ganz recht, endlich wurde sein alberner Leichtsinn bestraft.
    Â»Gabriel?«, Sonjas Stimme klang schüchtern, irgendwie unsicher. »Gabriel, bist du da?«
    Oh mein Gott, sie spürte mich tatsächlich! Mein Herz vergaß seine Schmerzen und machte einen einbeinigen Luftsprung.
    Â»Gabriel, wenn du da bist … komm bitte raus!«
    Ich nahm allen Mut zusammen, ignorierte die Tatsache, dass ich gar keinen besaß und tapste langsam, Schritt für Schritt, hinter dem Auto hervor. Meine Beine wollten nicht, ich musste sie zwingen, was erheblich durch die Tatsache erschwert wurde, dass mein Gehirn eigentlich auch nicht wollte. Alles in mir strebte danach, mich ganz klein zu machen und wieder hinter dem Auto zusammenzukauern, die Arme um die Knie geschlungen und krankhaft vor- und zurückwippend. Oder einfach wegfliegen. Einfacher, wirkungsvoller, schneller. Und nicht so gestört.
    Doch stattdessen übte ich mich wie ein Kleinkind im langsamen Vorwärtsgehen. Als Sonja mich endlich sah, schien sie regelrecht erleichtert. Wahrscheinlich darüber, nicht verrückt zu sein. Doch gleich danach nahm ihr Gesicht diesen typisch irritierten Ausdruck an, den ich, wie den wachsamen Glanz ihrer Augen, wie alles an ihr, kannte und liebte.
    Â»Ã„h … Gabriel … Was machst du bitte hinter dem Auto unserer Nachbarn?«, sie klang nicht wütend, nicht genervt, nur ein wenig müde. Erschöpft. Ausdruckslos. Nur? Mir wäre wütend oder genervt lieber gewesen.
    Â»Ich, äh, ich hab auf dich gewartet.« Die Wahrheit. Gut.
    Â»Was haben die in der Krankenstation gesagt?«
    Â»Ich, also ... Na ja, also ich hab wohl nur zu wenig geschlafen. Zu wenig getrunken. Also nichts Ernstes.« Lüge? Vielleicht. Ich wusste es ja selbst nicht. Schlecht. Aber ich konnte Sonja jetzt nicht von meinem armseligen Krankenstationsausbruch

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