Gabriel - Duell der Engel
erzählen. Jetzt nicht.
»Wie geht es dir denn?«
»Gut.« Erste richtige, waschechte, unzensierte Lüge. Sehr schlecht. »Und dir?«
»Auch.« Ganz klar gelogen. Sie war so blass, so müde, ihr ging es alles andere als gut, dessen war ich mir sicher. Gleichstand. Gut. Schlecht. Wo sollte das hinführen?
»Lassen wir das, Sonja. Ich sehe doch, dass es dir schlecht geht. Und mir ⦠na ja, gut ist was anderes. Wir müssen reden. Dringend. Das weiÃt du.« Waren das meine Worte? Sie waren so ⦠anders. Mal wieder hatte ich als passive, gleichmütige dritte Person neben mir gestanden. Im Nachhinein betrachtet waren meine Worte zwar klar und direkt, aber irgendwie auch ⦠arm. Ziemlich arm. Doch sie wirkten.
»Gut. Aber lass uns zu dir gehen. Meine Eltern nerven.«
»Klar. Meine sind nicht da.«
»Wie immer.« Sonja lächelte leicht. Sehr gut, immerhin ein Anfang. Heute hatte ich sie noch gar nicht lächeln sehen. Klingt nicht besonders schlimm, ich weiÃ, insbesondere, wenn man bedenkt, dass ich sie heute gerade mal etwa fünf Minuten lang bewusst wahrgenommen hatte. Doch für mich war es eine Katastrophe. Sonja lachte eigentlich den ganzen Tag lang. Sie war meine kleine Sonne, immer hell, immer glücklich, immer gut gelaunt. Einen Tag, an dem sie durchgehend traurig war, gab es nicht. Hatte es bisher nie gegeben. Jeder Tag, an dem du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag . Danke, Chaplin! Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn Sonja wegen mir einen Tag verlieren würde.
15. Mai 2012, 14:42 Uhr
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Seit einer halben Stunde saÃen wir nun schon steif nebeneinander auf meinem Bett und schwiegen.
Sonjas Blick war auf mein Bücherregal gerichtet, schwebte wahrscheinlich irgendwo zwischen Harry Potter und Hymnen an die Nacht . Wanderte über Das Bildnis des Dorian Gray und Die Leiden des jungen Werther zu Krabat . Mein Blick klebte still und unbeweglich am CD-Regal. Placebo, Meds . War schön, einen Fixpunkt zu haben. Half aber auch nicht lange.
Als die Stille begann, sich zu einer immer dicker werdenden Wand zu verfestigen, beschloss ich, sie einzureiÃen, solange es noch ging. Solange sie noch aus Holz und nicht aus Gold war. Ich hasse Gold.
»Sonja. Ich ⦠Wir ⦠okay, also, ich weià nicht ⦠oh Mann, klingt das bescheuert ⦠Also ⦠Na ja, äh, du weiÃt schon ⦠Ich wollte â¦Â« Scheià Rumgestammel. Na ja, immerhin war es mein Rumgestammel. Nicht das irgendeiner blöden dritten Person. Meine eigenen, armseligen, nichtssagenden, dummen Worte. Trotzdem, ich musste mich zusammenreiÃen. »Sonja, es tut mir leid.«
Sonja lieà Krabat in Ruhe, der bereits begonnen hatte, sich unter ihrem Blick tiefer ins Regal zurückzuziehen. Beunruhigend, schlieÃlich wollte ich ihn irgendwann noch mal lesen.
»Nein, Gabriel. Mir tutâs leid.« Ihre Stimme klang rau, als müsste sie sich erst wieder ans Sprechen gewöhnen. »Ich weià auch nicht, was mit mir los war. Eigentlich war das Ganze doch völlig bescheuert. Ich meine, wir hatten doch gar keinen Grund uns zu streiten! Ich hab völlig überreagiert. Nein, das ist noch untertrieben. Ich weià auch nicht, was mit mir los war. Ich hatte wohl einfach das Gefühl ⦠dich nicht mehr ⦠richtig zu kennen. Was echt blöd war, ich hätte mit dir reden sollen, nicht sofort abhauen und dich verurteilen. WeiÃt du, es ist mir egal, ob du Seraphin magst, nicht magst, vielleicht sogar ⦠na ja, hasst ... Solange du ihn nicht liebst, ist mir alles recht!« Sie grinste mich schüchtern an. Ich grinste zurück. Wow, sie war im Reden eindeutig besser als ich. »Ich denke, da hast du nichts zu befürchten. Kein Grund zur Eifersucht!«, antwortete ich leise. Beugte mich vor. Langsam. Vorsichtig. Gab ihr einen Kuss. Sie erwiderte ihn. Zögerlich. Er schmeckte nach nichts. Schade.
»Wie ist es jetzt eigentlich auf der Krankenstation gelaufen?«, fragte Sonja, als wir uns wieder voneinander lösten. »Na ja ⦠Ich ⦠bin abgehauen.« Verlegen fixierte ich mein Bettlaken. Dunkelblau. Warum war es dunkelblau?
»Gabriel!« Sonja klang vorwurfsvoll. »Du hast echt schlimm ausgesehen. Als wir dich hochgebracht haben, dachte ich, du kippst jeden Moment wieder um! Du hättest echt warten sollen.«
Ich sah sie nur an. Suchte in ihrem Blick. Fand echte, reine Sorge. Und
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