Gabriel - Duell der Engel
groÃer. Besonders scharfer. Natürlich tat er es nicht. Leider.
Seraphin hatte aufgehört zu lachen. Er fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe und grinste. Verschränkte die Arme. Ich sah ihm in die Augen. Sie waren schwarz.
»Ey, hatâs dir die Sprache verschlagen?«
»Was machst du hier?«, presste ich hervor.
Unnötig, sein Grinsen zu erwähnen. »Och, das Gleiche wie du, nehm ich an! âN bisschen rumfliegen ⦠ân bisschen die frische Luft genieÃen ⦠ân bisschen die Gedanken schweifen lassen ⦠Ach, und mich um ein paar Leute kümmern.« Die Art, wie er es sagte, lieà mir das Blut in den Adern gefrieren. Schon wieder. Dabei war es gerade erst aufgetaut.
»Kümmern?«, fragte ich zitternd. Mir war unglaublich kalt geworden.
»Ja, zum Beispiel um dich! Siehst schlimm aus, ganz blaue Lippen. Jemand sollte dir âne Wärmflasche bringen. Oder willste nich lieber gleich zurück in dein Bett? Da isâ es doch so sicher!« Sein Lachen war schrecklicher denn je. Aua. Ein tiefer Stich in dem Scherbenhaufen, der wohl einst mein Herz gewesen war. Ich sackte in der Luft ein wenig zusammen und presste die Hand auf meine linke Seite.
»Deine Augen«, keuchte ich.
»Was denn? Gefallân sie dir nich? Das verletzt mich!« Seraphin löste die Hände aus ihrer Verschränkung und hielt sie sich vor die Augen. Schluchzte theatralisch. Riss sie plötzlich wieder runter und funkelte mich feindselig an. »Pass auf, wir müssen mal was klären!« Seine Stimme war schneidend und glasklar. Seine Augen ein tiefer Abgrund. Irgendwo weit unten funkelte seine Seele. Doch ich wagte nicht, tiefer hineinzublicken. »Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.« Danke, Nietzsche. Oder war es Woyzeck?
Seraphin packte mich am Arm, sein Griff war fest und schmerzhaft. Irgendwie kam er mir plötzlich ungeheuer groà vor; der schmächtige Junge, der lässig Kaugummi kauend am Türrahmen lehnte, schien unerreichbar weit fort zu sein, irgendwo in einer längst vergangenen, längst vergessenen Welt. Mein Keuchen brachte ihn zum Lachen, es klang höhnisch und laut. Auch, wenn es nur den Bruchteil einer Sekunde lang dauerte. Dann erstarb es, plötzlich wurde er ernst und die Luft noch kälter. Der sarkastische Seraphin hatte mir wehgetan, der ernste machte mir zudem noch Angst.
Der ernste, groÃe Seraphin flog nun steil nach oben und zog mich mit sich, als würde er mich gar nicht bemerken. Seine Kraft erschreckte mich. Seine Schnelligkeit ebenso. Meine Gedanken wurden durcheinandergewirbelt und bevor ich sie ordnen konnte, saÃen wir oben auf dem Dach. Alles drehte sich. Mir wurde schlecht. Ich versuchte, den Brechreiz zu unterdrücken, scheiterte aber kläglich. Ãbergab mich neben Seraphin. Die Ohrfeige war hart und unerwartet. Vor Ãberraschung vergaà ich den Schmerz.
»Jetzt reià dich zusammen!«, fauchte er mir ins Ohr. »Du bist ja noch erbärmlicher, als ich erwartet hatte.« Déjà -vu. Ich sah die Bilder um mich herum, wie sie mich traten und beschimpften. Seraphin gesellte sich zu ihnen. Spornte sie an. Alles verschwamm. Ich sah wieder Barbara vor mir. Den Stift. Das Blut. Fing an zu schreien. Verlor wahrscheinlich gleich die Besinnung. Wünschte mir nichts sehnlicher. Fort aus diesem Albtraum. Doch Seraphin war da wohl anderer Meinung.
Ein harter Schlag holte mich zurück. Die Bilder wichen auseinander, zerstoben, waren fort. Wo war ich? Was war passiert? Warum hatte ich nicht vollends die Besinnung verloren? Sätze wirbelten durcheinander, vermischten sich mit Bildern. »Nicht gleich auf den Kopf, das verwirrt das ⦠Opfer, dann fühlt man nicht den nächsten â¦Â« Noch eine Ohrfeige. Tat nicht weh. »Siehst du!« Stöhnen. Klang grauenvoll. War ich das? Blut. Waren die Bilder zurückgekehrt? Bitte nein! Irgendetwas landete in meinem Gesicht. Spucke? Ich war zu verwirrt, um mich zu ekeln. Schwarze Augen.
Und plötzlich war alles klar. Ich lag auf dem Dach, direkt neben Seraphin. Er hatte meinen Kopf gegen den Boden geschlagen. Auf meiner Stirn prangte eine miese Platzwunde, die sich zum Glück gerade von selbst zusammenflickte. Trotzdem war eine beachtliche kleine Blutlache auf das Dach geflossen. Auch meine Finger waren rot. Seraphin hatte mich, als ich gerade dabei war, die Besinnung
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