Gabriel - Duell der Engel
zu verlieren, wohl in die Realität zurückgeprügelt. Komisch, ich dachte immer, das funktioniert nur andersherum.
Stöhnend drehte ich mich zu ihm um. Er saà neben mir, schräg abgewandt und betrachtete seine Hände. Spreizte die Finger. Drehte sie um. Begutachtete die Handinnenflächen. »Wieder unter den Lebenden?«, fragte er gelangweilt. Ich wunderte mich, dass er dabei nicht lachte. »WeiÃt du«, er drehte sich ruckartig zu mir um. »Du überraschst mich. Diese Sache mit der Besinnungslosigkeit â die solltest du mal untersuchen lassen. Dachte, du wärst härter im Nehmen. Tja, wie man sich täuschen kann.«
»Was willst du von mir?« Meine Stimme klang brüchig. Geschlagen. Malträtiert.
Jetzt grinste Seraphin doch. »Eine Information.« Ich wartete. Sagte nichts. »Warum bist du ein Engel?«
»Ich weià nicht â¦Â« Klatsch. Die nächste Ohrfeige. Diesmal tat sie weh.
»Verdammt, ich weià es wirklich nicht!«
Seraphin sah mir in die Augen, sah bis auf den Grund meiner Seele. Durchwühlte sie. Zog sie aus. Bis sie nackt und hilflos vor ihm stand. Dann nickte er. »Sprich weiter!« Wie verändert er klang. Was war mit ihm passiert?
Obwohl ich keine Lust hatte, ihm wie ein Sklave zu gehorchen, tat ich es trotzdem. Weil es einfacher war. »Ach, keine Ahnung, eines Tages hab ich mich vom Dach gestürzt und gemerkt, dass ich ein Engel bin. Ende der Geschichte!« Ich begann meine Seele wieder einzukleiden. Hüllte sie zuerst in einen dünnen Mantel aus Trotz.
Seraphin gab irgendeinen verächtlichen Laut von sich. »Kleiner Suizidversuch, oder was?« Die ernste Beiläufigkeit in seiner Stimme verwirrte mich.
»Nein, das war mehr ⦠zufällig. Ein Unfall. Oder so was in der Art.«
Seraphin blickte mir wieder in die Augen und streifte sofort den Hauch von Trotz ab. »Aha«, sagte er nur. Ich versuchte, das Zittern in meiner Unterlippe zu kontrollieren. Es wurde nur noch stärker. Seraphin bemerkte es und brach in Gelächter aus. Es schnitt durch den Scherbenhaufen in meiner Brust und zerkleinerte die Splitter. Tat so weh. »Ich glaub, ich geh dann mal besser!«, stieà er zwischen zwei Atemzügen hervor. »Du sollst ja Zeit haben, dich in Ruhe auszuheulen. Hast viel erlebt heute. Und kannst es noch nicht mal deiner Mami erzählen. Armer Junge!« Damit stieà er sich vom Dach ab und flog zwei, drei Meter hinaus in die freie Luft. »Ach, und noch was!«, rief er über die Schulter hinweg. »Ab jetzt wird sich hier einiges ändern. Es hat schon begonnen.« Dann flog er davon. Fast gemächlich. Ein kleiner schwarzer Punkt, der in der Ferne verschwamm. Hätte ein Vogel sein können. Nur dass es keiner war. Und dass ich darum wusste. Tränen stiegen in meinen Augen auf und so sehr ich es auch versuchte, ich konnte sie nicht zurückhalten. Es war ein Armutszeugnis, als sie auf das Dach fielen und sich mit meinem Blut mischten.
23. Mai 2012, 14:54 Uhr
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»Mir ist nie aufgefallen, dass du eine Narbe auf der Stirn hast.« Sonja strich sanft über die helle, kaum sichtbare Erhebung auf meinem Gesicht. »Wie ist das passiert?«
»Das war Voldemort, Avada Kedavra. Zum Glück hab ich überlebt.« Es kostete mich Kraft zu lachen.
Wir saÃen eng zusammengekuschelt auf meinem Bett und sahen uns Der Sternwanderer an. Zum gefühlt zweihundertsten Mal. Und fanden ihn noch immer genial.
»Sag mal, was ist denn heute los mit dir?«, fragte Sonja plötzlich. Ganz unvermittelt.
»Wieso, was meinst du?« Ich bemühte mich um die totale Ahnungslosigkeit in meinem Blick. Glaube, es gelang mir ganz gut. Sonja nahm sie mir dennoch nicht ab. Natürlich nicht.
»Hey, du weiÃt genau, was ich meine!« Sie stieà mich sachte an. »Du bist schon den ganzen Tag so abwesend. Erschrickst leicht. Lachst nicht, wenn sich die Geister der verstorbenen Brüder unterhalten. Dabei ist das doch eigentlich deine Lieblingsszene.« Mist, sie kannte mich einfach zu gut. »Etwas beschäftigt dich doch. Sprich mit mir darüber!«
Wie sehr ich mir genau das wünschte, seit zwei Jahren schon. Doch dann kam wieder die Angst, gemischt mit Bildern. Was, wenn sie mich für einen Freak halten würde? Mit der Situation nicht klarkäme? Es weitererzählen würde? Was, wenn ich sie verlöre? Ich durfte kein Risiko eingehen. Ohne
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