Gabriel - Duell der Engel
verlieh den Synapsen in meinem Gehirn neuen Schwung. Seine Augen waren tiefschwarz, seine Gesichtszüge hart. »Nur zu!« Ein diabolisches Lächeln umspielte seine Lippen. »Was willst du mir sagen?« Seine Stimme klang so viel voller, tiefer, kräftiger als meine. Ein harter Wind, der den Nebel hinwegfegte und die kalte, leere Luft dahinter enthüllte.
Doch so leicht lieà ich mich nicht entwaffnen. Nicht mehr. »Es ist Zeit für eine Erklärung, findest du nicht?«, schrie ich gegen den Wind an. »Mal bist du selbstbewusst und sarkastisch, dann böse und stark, dann wieder verzweifelt und verletzlich. Verdammt, was ist los mit dir? Warum tust du diese ⦠Dinge?«
Seraphin lachte verächtlich. »Hör auf damit!«, brüllte ich. »Ich kann es nicht mehr hören!« Nicht mehr ertragen, ergänzte ich in Gedanken.
Seraphin hörte tatsächlich auf. Er schwebte langsam näher. Ich blieb starr auf meinem Fleck. Wich nicht zurück. Obwohl es mich gröÃte Ãberwindung kostete. Auf Armlänge von mir entfernt blieb er stehen. »Das hatten wir doch schon«, flüsterte er eisig. Seine Stimme schnitt in mein Herz. Nicht schon wieder. »Ich bin böse, mir war langweilig, ich will die Menschheit bestrafen. Was auch immer. Lass uns damit aufhören und uns den wirklich wichtigen Dingen zuwenden.«
»Du hast meine erste Frage nicht beantwortet!«, schrie ich. Irgendwo tief in mir kochte Wut. Stufe neun. Wurde immer heiÃer.
Seraphin sah mich ruhig an. Legte den Kopf ein wenig schief. Wirkte fast nachdenklich. »Itâs showtime!«, sagte er langsam, dann lieà er sich fallen.
»Nein!«, schrie ich und stürzte ihm nach. Die Wut kochte über und verätzte die Herdplatte. Floss in mein Gehirn.
Unten auf der StraÃe ging gerade eine Frau Richtung Supermarkt. An der Hand hielt sie einen kleinen Jungen. Er war höchstens vier. Das konnte er nicht tun.
Seraphin flog nicht zu ihnen. Er schwebte zu den groÃen Leuchtbuchstaben auf dem Dach, die den Namen des Supermarktes ankündigten, und riss das R ab. Riss es einfach ab. Es war um einiges gröÃer als er selbst, trotzdem schien es ihn nicht die geringste Anstrengung zu kosten. Die Frau und der Junge waren fast am Eingang angekommen. Seraphin wartete. Die Wut erreichte mein Herz. Verbrannte es. Machte es stark.
Ich stürzte mich auf ihn. Riss ihn um. Prügelte mit meinen bloÃen Fäusten auf ihn ein. Seine Lippe sprang auf und benetzte sein Kinn mit Blut. Er schlug zurück. Ich spürte den Schmerz kaum. Wollte ihn nur noch verletzen. Bestrafen für all seine Grausamkeiten. Mich rächen für das Mädchen. Er hieb mit der Faust auf mein rechtes Auge und ich taumelte rückwärts. Sterne blitzen auf, ich verlor kurz die Orientierung. Als ich mich wieder gefasst hatte, konnte ich gerade noch sehen, wie das R fiel.
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Wieder lief alles in Zeitlupe ab. Ich sprang vom Dach. Kriegte das R zu fassen. Versuchte, es hochzuziehen. War zu schwach. Viel zu schwach. Hatte keine Chance gegen die Schwerkraft. Versuchte es trotzdem. Selbst, als ich das Krachen hörte. Zog weiter. Wagte es nicht, nach unten zu sehen. Zog. Nichts rührte sich. Der Fall hatte aufgehört. Ich lieà das Ziehen sein und horchte. Hörte nichts auÃer meinem eigenen Herzschlag. UnregelmäÃig. Laut. Zu laut. Wagte einen kurzen, flüchtigen Blick nach unten. Sah eine Hand. Eine kleine Kinderhand. Ragte unter dem R hervor. Schwamm in Blut. Ein groÃer, dunkler Teich mit einer kleinen, hellen Insel in der Mitte. Und plötzlich konnte ich wieder hören.
Der Schrei der Frau fuhr mir durch Mark und Bein. »David!«, schrie sie. »David! Hilfe! David! Hilfe!« Nur zwei Worte. Immer und immer wieder. Ohrenbetäubend laut. Ich wünschte, wieder taub zu sein. Hörte nur umso besser. Viele Schreie, die sich zu einer Sinfonie des Grauens verbanden. Sirenen. Irgendwo, ganz weit entfernt. Stimmen, irgendwo ganz nah bei mir. Noch mehr Schreie.
Ich sackte auf dem R zusammen und verlor endlich wieder die Besinnung.
Irgendwann danach â¦
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»Und ich dachte, wir wären weiter!«
Ich versuchte, die Augen zu öffnen. Konnte es nicht. Kostete zu viel Kraft. Wollte wieder zurück ins Dunkel. Zurück zu meinen Stimmen. Kannte sie inzwischen. Mochte sie. Mehr als die Realität.
Ein Schlag auf den Kopf. Meinen Kopf. Nicht noch ein
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