Gabriel
Anblick irgendwas Ungewöhnliches zu vermuten. Und wenn doch, würde er sie eben einfach töten.
Es war spät geworden. Im März ging die Sonne schon zeitig unter. Gabriel betrachtete den nur noch schwach erleuchteten Himmel und überlegte, ob er eine unbeobachtete Tür finden, ein Portal zum Erzengelhaus öffnen und von dort in sein Cottage auf Harris gelangen sollte. Das luxuriöse Herrenhaus war ein praktisches Transportsystem. Um es zu benutzen, brauchten die vier Brüder nur eine Tür, irgendeine, und schon konnten sie zu einem x-beliebigen Ziel reisen, wo ebenfalls eine Tür existierte.
Die Geschäfte in Glasgow hatte er glücklicherweise erledigt. Finanzielle Transaktionen ermüdeten sogar einen Erzengel. Nun fühlte er sich sonderbar. In der Luft lag ein seltsames Surren, als stünde alles ringsum unter Strom, und das machte ihn nervös. Jetzt sehnte er sich nach seinem Kamin, einem Bier und dem Blick auf die Küste von seinem Wohnzimmer aus.
Aber in seinem Herzen war Gabriel ein Schotte, und wenn die lebhafte Menschenmenge ein aufschlussreicher Hinweis war, musste das Festival Feis nan Coisir invollem Gange sein. Bald würde der Alkohol in Strömen fließen. Und er hatte noch nie eine Gelegenheit versäumt, gute Musik und ein noch besseres Bier zu genießen. So etwas konnte den schlimmsten Stress aus dem Körper eines Mannes treiben.
Direkt gegenüber der Fährstation lag das Caorann Hotel, dessen Pub mehr Gäste als die Zimmer anlockte. Wenn ein Festival stattfand, war die Kneipe stets überfüllt. Dort würde er auch Einheimische antreffen, die er kannte.
Die Hände in den Taschen seiner Lederjacke, überquerte er die Straße. Als er das Pub betrat, gewann er sofort mehrere vertraute Eindrücke. Zu warm, zu voll, in der Ecke ein knisterndes Kaminfeuer. Nur mit knapper Not übertönte die Musik das Stimmengewirr und das alkoholisierte Gelächter. Die Band, die ebenfalls schon ziemlich betrunken aussah, spielte auf einem Podest an der Wand. Unter den Holzrauch mischten sich die Gerüche von Schweiß, Parfüm, verschüttetem Ale und Pommes frites.
Grinsend ließ Gabe die Tür hinter sich zufallen. Genau so gefiel es ihm. Während er kurz stehen blieb, um sich an das schwache Licht und das Chaos zu gewöhnen, rief jemand seinen Namen.
»He, Black!« Sein Freund Stuart zwängte sich durch das Gewühle zu ihm. »Da bist du endlich wieder, alter Junge!«
»Aye.« Gabriel ging ihm lächelnd entgegen. »Lass dich zu einem Drink einladen.«
Stuart nickte und schlug ihm auf die Schulter. Niemals würde er ein kostenloses Ale ablehnen, auch wenn er noch ein halb volles Glas in der rechten Hand hielt.
Mühsam bahnten sie sich einen Weg zur Bar. Der Mann und die Frau hinter der Theke erkannten Gabriel sofort.
»Gabe! Dè a tha thu ris?« ,fragte der Mann auf Gälisch. Ohne Zeit zu vergeuden, füllte er ein großes Glas und hielt es Gabriel hin, der es dankend entgegennahm.
»Fada ›nurcomain‹ Will«, erwiderte er, ebenfalls auf Gälisch. »Freut mich, dich zu sehen.«
Der Barkeeper Will war auch der Besitzer des Hotels und die Frau neben ihm seine Schwester. Freundlich zwinkerte sie Gabriel zu, und er nickte, bevor er sein Glas zur Hälfte leerte. Einem Erzengel fiel es nicht leicht, sich zu betrinken. Aber er hatte jahrelange Übung darin.
»Was machst du hier, Burns?«, wandte er sich an seinen alten Freund. Stuarts Fischerboot war an der Küste von Harris vertäut und sein Cottage nicht weit von Gabriels Inseldomizil entfernt.
»Das Gleiche wie du, Black.« In einem Zug trank Stuart sein Glas leer und knallte es so kraftvoll auf die Theke, dass man es im ganzen Pub gehört hätte, wäre der Raum nicht von ohrenbetäubendem Lärm erfüllt gewesen. »Jetzt gib mir das Ale aus, das du mir versprochen hast.«
Lachend warf Gabriel ein paart Geldscheine auf die Bar. Mit frischen Gläsern in den Händen gingen sie zu einem Tisch am Kamin, den einige Gäste verlassen hatten, um zu tanzen oder der Hitze des Feuers zu entrinnen, nahmen Platz und schauten sich um.
»Vor etwa zwanzig Minuten kam ein Engel hier rein, Black«, begann Stuart und sicherte sich damit die Aufmerksamkeit seines Freundes. »Hättest du die gesehen, würdest du sofort Nüsse in die Flammen werfen. Das süße Mädchen hatte alles, was du von deiner ›Seelengefährtin‹ erwartest, die du dauernd beschreibst.« Spitzbübisch grinste er, und seine Augen funkelten, als wäre er fünfzig Jahre jünger.
»Ach ja?« Gabriel hob die
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