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Gabriel

Gabriel

Titel: Gabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Killough-Walden
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Schrankwand.
    »Wow«, wisperte sie. In den Jeans und Stiefeln sahen ihre Beine lang aus. Unwillkürlich lächelte sie. »Oh, das liebe ich!« Dann schüttelte sie den Kopf über ihre eigene Dummheit. Warum um alles in der Welt kümmerte sie sich um ihr Aussehen? Da unten würde sie in einer möglichst ruhigen Ecke sitzen, unauffällig beobachten, wie sich die betrunkenen Einheimischen lächerlich machten, und hoffen, sie würde sich am nächsten Morgen noch an alles erinnern. Sie selbst würde natürlich keinen Spaß haben.
    Aufmerksam betrachtete Juliette ihr Spiegelbild und sah eine eigenartige Veränderung in ihrem Blick. Tatsächlich, Sophie hatte recht. Wenn ihre Augen sich grün färbten, wirkten sie traurig.
    »Verdammt«, sagte sie und straffte ihren Rücken, nahm die Schultern nach hinten und warf die langen Locken zurück. Dann schenkte sie ihrem Spiegelbild ein aufmunterndes Lächeln. »Vielleicht genehmige ich mir wenigstens einen Drink.«
    Sie nahm den antiquierten Schlüssel von der Kredenz neben der Tür und schloss hinter sich ab. Am Ende des Flurs warteten ein paar Frauen, um die Toilette für die Hotelgäste zu benutzen. Beinahe hätte Juliette die Augen verdreht. Zum Glück musste sie nicht pinkeln. Einfach grausam. Verdiente der Hotelbesitzer mit dem Verkauf seines Fusels so wenig, dass ihm das Geld für mehr Toiletten fehlte?
    Das erwähne ich in meiner Dissertation, beschloss sie missgelaunt, zwang sich, die Frauen anzulächeln, und stieg die mit einem Teppich belegten Stufen hinab. Schon am Fuß der Treppe war der Lärm noch lauter. Juliette musste zwei Frauen ausweichen, die offenbar die Toilette im ersten Stock ansteuerten.
    Im Pub angekommen, blieb sie nervös mit dem Rücken zur Wand stehen und sah sich um. Aus irgendeinem Grund pochte ihr Herz viel zu schnell. Vielleicht war sie müde oder hungrig oder beides. Jedenfalls geriet sie fast in Panik.
    So viele Leute, so viele Gespräche, die sie auf einmal hörte. In ihrer Nähe schwatzte ein Paar so schnell, dass sie kaum ein Wort verstand. Die Luft stank nach Alkohol und Parfüm und dem Rauch des Holzfeuers im offenen Kamin.
    Mit Unbehagen beobachtete sie die Flammen, die hell emporloderten. Ein so großes Feuer missfiel ihr. Aber es passte zur Atmosphäre im Pub, zur übermütigen Stimmung. Dicht vor ihr bewegten sich Leute und versperrten ihr immer wieder die Sicht. Dann sprang ihr irgendwas ins Auge, und sie reckte den Hals, um herauszufinden, was es sein mochte.
    Das Profil eines Mannes. Faszinierend. So groß sah er aus. Sein schwarzes Haar wirkte dicht und seidig und lockte sich, wo es auf den aufgeknöpften Kragen seines schwarzen Hemds traf. Unglaublich breite Schultern. Sie sah, wie er ein Bierglas an die Lippen hob. Ein Mund, wie zum Küssen geschaffen. Unter dem hochgekrempelten Ärmel seines Hemds spannten sich seine Muskeln.
    Plötzlich wurde Juliettes Kehle staubtrocken. Sie schluckte und blinzelte und schaute rasch zur Seite, als jemand ihr die Sicht nahm.
    Aber dann wurde ihr Blick erneut von diesem Profil angezogen, und sie starrte es unverwandt an, als hinge ihr Leben davon ab. Er saß neben einem alten Mann, der ihm offenbar etwas Komisches erzählte, und entblößte lachend schneeweiße Zähne.
    Wieder schluckte sie und hustete beinahe. Seine Augen, dachte sie, ich muss seine Augen sehen!
    Warum?, flüsterte eine Stimme in ihrem Innern, während sich Juliette geistesabwesend mit der Zunge über die Lippen fuhr. Warum interessieren dich seine Augen? Doch sie ignorierte die Frage und musterte ihn unentwegt.
    Nun hörte er auf zu lachen und erstarrte mitten in der Bewegung, als er das Glas wieder heben wollte, straffte die Schultern und stand dann geschmeidig auf.
    So groß …
    Er drehte sich zu ihr um. Und sein Blick, wie Platin und Silber, drohte sie quer durch den ganzen Raum zu durchbohren. Stocksteif stand er da, eine beachtliche Gestalt in Schwarz und Grau. Seine Miene war unergründlich, sah man von dem Anflug eines Schocks ab, den seine markanten Züge widerspiegelten.
    Unfähig, auch nur einen Finger zu rühren, lehnte sie an der Wand, und das Dröhnen in ihren Ohren hatte nichts mit dem Lärm im Pub zu tun. Ihr wurde schwindlig, ihre Haut prickelte.
    Er ist es, dachte sie, der Engel. Diesen Blick habe ich in meinem Traum gesehen.
    Ohne sie aus den Augen zu lassen, stellte er sein Bierglas auf den Tisch. Sie versuchte sich zu bewegen. Sie bemühte sich wirklich. Aber sie schaffte es nicht, während er auf sie

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