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Gabriel

Gabriel

Titel: Gabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Killough-Walden
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Brauen. »Und warum hast du sie nicht zu einem Ale eingeladen?«
    Stuarts Gelächter klang wie eine kratzende Schreibfeder auf Pergament. »Weil ihr die Atmosphäre hier nicht gefiel«, erklärte er und schüttelte den Kopf. »Sie sprach nur kurz mit Will. Juliette, so hat sie sich vorgestellt. Dann ist sie sofort nach oben gegangen.«
    Nachdenklich musterte Gabriel den Türbogen, der zur Treppe führte. Juliette, das klang wie Regen in der Wüste. Wie ein warmes Feuer in einer bitterkalten Winternacht.
    Als sein Blick die menschenleeren Stufen hinaufschweifte, verdunkelten sich seine Augen. Mit einer Hand hob er sein leeres Glas, mit der anderen winkte er einer Kellnerin.
     
    Stöhnend wälzte sie sich auf der unebenen harten Matratze und starrte die Zimmerdecke an. Zweifellos hatten die papierdünnen Wände, von einer zehn Jahre alten Tapete kaum wohnlicher gestaltet, schon bessere Tage gesehen. Eine von den drei Lampen funktionierte nicht, und eine knisterte seltsam, wenn man sie einschaltete. Es gab keinen Fernseher, natürlich kein Internet. Und das einzige Bad im ersten Stock mussten sich die Bewohner aller sechs Zimmer teilen. In der Duschkabine wucherten Schimmelpilze.
    Wie Juliette vermutete, übernachtete sie zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Hotel mit nur einem halben Stern.
    Sie vermisste Nessie. Ohne den Plüschelefanten fühlten sich ihre Arme leer an.
    Frustriert schleuderte sie die Decke beiseite und setzte sich auf. Aus dem Pub drang unbeschreiblicher Lärm in ihr Zimmer. Die Musik der Band ließ sich kaum vom grölenden Gesang der volltrunkenen Gäste unterscheiden, unterlegt von gellendem Gelächter. Das alles hörte Juliette so deutlich, als würde die Party im Flur vor ihrer Tür gefeiert.
    Mit gerunzelter Stirn dachte sie an das ruhige, friedliche Cottage, für das sie bezahlt hatte und das jetzt unbewohnt irgendwo an der Küste von Luskentyre auf sie wartete. Weil sie nicht zu Abend gegessen hatte, knurrte ihr Magen. In der Hitze des überfüllten Pubs hatte sie den Appetit verloren.
    Nun bereute sie, dass sie nicht wenigstens ein Brötchen verspeist hatte. Oder Pommes frites. Oder Chips. Was auch immer. Seufzend schwang sie die Beine über den Bettrand.
    Da fiel ihr etwas ein. Eigentlich waren die Gespräche da unten, die Traditionen und die Kultur genau das, was sie für ihre ethnografische Doktorarbeit brauchte. Und es würde vielleicht auch als der Kitsch durchgehen, den sich Samuel Lambent wünschte.
    Aber sie war so müde. Sie ergriff ihre Taucheruhr, drückte die LCD-Lichttaste und berechnete die Ortszeit. Zwei Uhr morgens! Mit ihrem Jetlag war das noch furchtbarer als ohnehin schon.
    Mit einer Hand, die vor Hunger und Erschöpfung ein bisschen zitterte, fuhr sie sich durchs Haar und entwirrte es. Das tat sie immer, wenn sie gestresst war. Eine alte Gewohnheit.
    Nach ein paar Minuten und einer besonders schrillen Lachsalve im Erdgeschoss ächzte Juliette dramatisch und stand auf. »Wenn du sie nicht schlagen kannst, verbünde dich mit ihnen«, murmelte sie und beschloss, das einzige neue Outfit anzuziehen, das sie noch nicht getragen hatte. Warum, wusste sie nicht. Wahrscheinlich hatte sie es für eine besondere Gelegenheit schonen wollen. Es war das hübscheste – und das einzige, das sie noch besaß, bevor sie in einen Waschsalon gehen musste.
    Passend zu diesem Outfit hatte sie Lederstiefel gekauft. So eine Extravaganz leistete sie sich sonst nie. Aber sie hatte sich etwas gönnen wollen, um den Vertrag mit Lambent zu feiern – und zum Trost, nachdem sie Nessie und ihr restliches Gepäck verloren hatte.
    Sie schlüpfte in die hautengen Jeans. Nach einem kurzen Blick auf die schulterfreie Bluse verzichtete sie auf einen BH. Was soll’s? Da unten fand eine Party statt. Kaum jemand würde sie bemerken. Da sie so klein war, würde sie in der Menge verschwinden.
    Wenn sie sich bewegte, flatterte der schimmernde Stoff und changierte zwischen Pfirsichrosa und Grau. Sehr schmeichelhaft, stellte sie fest, denn der große Ausschnitt lenkte den Blick auf ihren schlanken Hals und die gebräunte Haut, die ihre haselnussbraunen Augen noch betonte.
    Sie setzte sich auf die Bettkante und zog die kniehohen Stiefel an. Nachdem sie aufgestanden war, wurde sie von seltsamen Schwindelgefühlen erfasst. Plötzlich erschien ihr der Boden des Hotelzimmers weit entfernt. Die Plateausohlen machten sie um mindestens zehn Zentimeter größer. Blinzelnd trat sie vor den Spiegel an der

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