Gabriel
einen Hang hinaufführte. Auf dem Gipfel des Hügels stand eine Hütte. Dahinter erhoben sich Menhire.
Jetzt wusste Juliette, was er ihr zeigen wollte. Hier war sie in einem früheren Leben gewesen, im gegenwärtigen noch nicht. Nachdem er das Auto auf den Parkplatz gesteuert und den Motor abgestellt hatte, lächelte er sie an, seine Augen strahlten. Er nahm seine Jacke vom Rücksitz und zog sie an. Dann stieg er aus, ging zur Beifahrertür und öffnete sie. »Komm, mein Liebe.«
Juliette erwiderte das Lächeln und ergriff die behandschuhte Hand, die er ihr reichte.
Schützend schloss er seine Finger um ihre. Durch das Material beider Handschuhe spürte sie seine Kraft. So stark war er. Und er gehörte zu ihr.
»Hier habe ich in meiner Kindheit gespielt«, erklärte sie, während sie dem Weg zu den Steinen folgten.
»Aye, das kann ich mir vorstellen.« Der Wind zerzauste sein schwarzes Haar, küsste Juliettes Wangen und hieß das Engelspaar in der Vergangenheit willkommen. »Sicher warst du sehr oft hier.«
Hand in Hand näherten sie sich den Steinen und betrachteten sie voller Ehrfurcht.
Clachan Calanais, der Steinkreis von Callanish, dreitausend Jahre vor Christi Geburt von Menschen errichtet, über die man nichts wusste, aus Gründen, die niemand kannte. Dreizehn Hauptsteine bildeten einen Kreis von etwa zehn Metern Durchmesser. In der Mitte befand sich ein Ganggrab, das im Lauf der Jahrhunderte immer wieder benutzt worden war. Manche der Menhire überragten die anderen, alle waren etwa drei Meter hoch. Innerhalb des Kreises bildeten einige ein Kreuz.
Juliette entsann sich, wie sie als Kind zwischen den Steinen umhergerannt war, so schnell ihre kleinen Beine sie trugen. Jeden hatte sie berühren wollen, um seine besondere Magie in sich aufzunehmen. Seither waren viele Menschenleben verstrichen.
»Weißt du, warum ich dich hierhergeführt habe?« Noch immer hielt Gabriel ihre Hand fest. Mit uralten Augen musterte er die historische Stätte. »Dieser Ort ist älter als ich. Wenn ich auf der Erde wandle, fühle ich mich wie ein lebendes, atmendes Geheimnis. Länder sah ich kommen und gehen, gewonnene und verlorene Kriege. Aber hier …« Er machte eine kurze Pause, schüttelte den Kopf. »Hier begegnet mir endlich etwas, was mehr weiß als ich. Diese Steine enthalten mir ein Geheimnis vor.«
Wieder einmal wurde sie von seinem Lächeln verzaubert und glaubte im Quecksilber seiner Augen zu ertrinken. In der Landschaft ringsum. Im Wind, der zwischen den Steinen wehte und Totengedichte zu flüstern schien.
Was Gabriel erklärt hatte, verstand sie so gut, als hätte er ihre eigenen Gedanken ausgesprochen. Sie ergriff auch die andere Hand des Erzengels. Plötzlich wirkte sein Gesicht unergründlich.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um etwas in sein Ohr zu wispern, und er neigte den Kopf zu ihr. »Auch ich habe ein Geheimnis.«
»Ach ja, Liebste?« In seiner Frage schwang sanfte Belustigung mit.
»Ach ja«, imitierte sie seinen Akzent. Kichernd wartete sie und spannte ihn auf die Folter. »Allerdings. Aber das werde ich dir nicht verraten. Es sei denn, du fängst mich.«
Blitzschnell entriss sie ihm ihre Hände und stürmte zum nächsten Stein, berührte die raue Fläche, genoss das vertraute Gefühl. Dann eilte sie weiter.
Hinter ihr erklang Gabriels Gelächter, das köstliche Schauer über ihren Körper sandte. Sie wusste, er würde ihr folgen und könnte sie mühelos einholen. Das störte sie nicht. Prustend rannte sie dahin und strich über einen Stein nach dem anderen.
Gabriel gewährte ihr einen Vorsprung. Offenbar wusste er, dass sie alle Steine anfassen musste. Sie lief quer durch den Kreis, betastete einen Stein. Dann lief sie auf einem anderen Weg zurück und strich über den nächsten Stein. Verwirrt zuckte sie zusammen, als Gabriel hinter diesem hervorsprang. So schnell war er dorthin gelangt, dass sie ihn nicht gesehen hatte. Sie lachte und änderte ihren Kurs. Da und dort berührte sie Steine, die sie zuvor ausgelassen hatte.
Schließlich näherte sie sich dem letzten Stein. Hinter sich hörte sie Schritte und quietschte, spürte immer intensiver die vertraute Wärme. Noch ein Stein, den ihre Finger streiften, und schon wurde sie von Gabriels starken Armen umfangen.
Er drehte sie um, presste sie mit dem Rücken gegen das verwitterte Monument und hielt sie mit seinem harten Körper gefangen. Atemlos schaute sie in seine lachenden Augen.
»Jetzt habe ich dich, meine Süße.« Zu beiden
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