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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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kleinen Bahnhof, sie brauchten dringend Sprit. Man kann in kürzester Zeit eine Menge denken, aber nicht handeln. Mir war klar, dass eine der Katastrophen, die in meinem Kopf auf Wiedervorlage gesetzt waren, einer unmittelbaren Lösung bedufte, und zwar unter erschwerten Bedingungen. Wir mussten demnächst landen.
    »Du musst einen Landeplatz suchen!«, rief Felicité.
    Zweifellos hatte sie damit recht. Einen Augenblick lang stand Lea vor meinem inneren Auge, ein selten klares Bild mit scharfen Konturen. Wahrscheinlich speicherte mein Gehirn gewisse Szenen mit Lea im Traumazentrum. Diesmal trug sie nicht ihr graues Kostüm, sondern einen Bademantel, es musste demnach Morgen sein, oder es war mitten in der Nacht. Sie hatte sich vor mir aufgebaut, das konnte sie, obwohl sie einen Kopf kleiner war als ich, und sie sagte zu mir: »Du bist so unglaublich naiv, Bernd, so un-glaub-lich naiv.« »Unglaublich naiv« war ein Lieblingsausdruck von Lea. Sie zerlegte die Silben in ohrgerechte Portionen, damit ich es mir merkte. Im Anschluss an diese Beurteilung folgte in der Regel ein Ratschlag, aber für den hatte ich jetzt keine Zeit mehr. Auch Lea würde keinen Landeplatz für uns finden. Also schaltete ich sie einfach ab und versuchte, in die Realität zurückzukommen.
    In der Realität verloren wir weiter an Höhe, im Cockpit pfiff es jetzt wie auf einem Segelschiff bei Sturm. Ich bekam eine Ahnung von der Geschwindigkeit, die wir draufhatten. Felicité lehnte sich auf mich. Sie versuchte, aus meinem Fenster nach vorn zu sehen, ihres war ja zersplittert.
    »Da!«, sagte sie.
    »Wo?«, fragte ich.
    »Na, dort!«
    Es war wie in einem Comic und hätte noch ein paarmal so hin und her gehen können, aber wir hatten wie schon gesagt nicht viel Zeit. Ich folgte Felicités Finger mit dem Blick und sah sie nun auch, die ausgefressenen Lücken in der grünen Decke des Waldes, ein kleines Stück links von der Schneise, in der die Bahnlinie verlief.
    »Kannst du da runter?«
    Felicité wartete meine Antwort nicht ab, die Antwort auf eine Frage, die ich mir noch nicht einmal selbst gestellt hatte. Sie öffnete ihren Gurt, hangelte sich an ihrem Sitz vorbei zur Rückbank und fing an, die Müllsäcke nach vorn zu zerren. Zuerst dachte ich, sie hätte den Verstand verloren, dann begriff ich, was sie vorhatte, und half mit, so gut ich konnte. Gemeinsam stopften wir, Müllsack für Müllsack, das Cockpit aus. Nur meine Scheibe ließen wir frei. Ich war der Pilot, aber nur deshalb, weil meine Scheibe noch heil war.
    Ich bewunderte Felicité. Sie war einfach schneller als ich, jedenfalls wenn es zu handeln galt. Während ich mir einen besonders dicken Müllsack auf den Schoß zerrte, um im letzten Moment eine Art Airbag daraus zu machen, versuchte ich, mir die physikalischen Prinzipien ins Gedächtnis zu rufen, die jetzt zu beachten waren, denn wir bewegten uns erschreckend schnell auf das Walddach hinunter. Das Einzige, was mir einfiel, war, dass der menschliche Organismus für jähe Verzögerungskräfte zu empfindlich war, Wirbeltiere verkraften nicht so viel Beschleunigungskräfte wie Insekten, die können viel mehr davon vertragen, aber wie machten das die Vögel? Die Lichtung, die wir entdeckt hatten, war inzwischen bereits vom Walddach verschluckt. Wir waren zu tief, um sie noch sehen zu können.
    Vögel sind Wirbeltiere, sie konnten quasi überall landen. Baumkronen huschten dicht unter uns vorbei. Ich konnte schon die Äste erkennen, darunter befanden sich dicke Stämme, von denen jeder einzelne uns zertrümmern konnte. Vögel, fiel mir jetzt ein, bremsten, indem sie aufwärtsflogen. Die Nase musste nach oben, genau wie beim Start.
    »Ich probiere es«, sagte ich gequetscht. Meine Zähne hatten angefangen, vor Angst zu klappern, obwohl es im Cockpit so warm war wie in der Düse eines Föhns. »Zieh die Gurte an«, sagte ich zu Felicité.
    Sie strippte unsere Gurte, so fest es ging. Ich sah die Baumwipfel jetzt nicht mehr, nur ein Meer aus Wald links und rechts von uns, in das wir gleich eintauchen würden, ich meinte, den Rumpf schon an den Ästen streifen zu hören. Aber ich sah jetzt die Stelle, wo das Blätterdach abriss.
    Dahinter musste sie sein, die Lichtung. Noch zwanzig, dreißig Meter. Ich zog das Steuerruder an. Das Flugzeug torkelte über die letzten Bäume. Dann verloren wir Schwung, und es ging abwärts wie in einem sehr schnellen Fahrstuhl. Vor uns keine Bäume mehr, aber sekundenlang das Glitzern von Wasser. Keine

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