Gabun - Roman
hatten.
»Vielleicht explodieren wir«, sagte ich leise.
Zwischen uns waren nur ein paar zerplatzte Müllsäcke, es war dunkel, wie wenn in der Hölle das Licht ausgeht, und wir waren ganz allein im Urwald. Jede Stunde konnte unsere letzte sein. Noch immer hatte ich meinen Arm um Felicités Nacken gelegt. Ich suchte nach den Resten meiner Keckheit, aber ich fand nichts mehr davon.
»Ich glaube nicht«, sagte Felicité. Noch einmal ein leises Kichern.
»Was glaubst du nicht?«
»Dass wir … explodieren«, sagte sie.
Er war vorüber, der Moment.
NEUN
Der neue Tag kam so rasch, als habe jemand das Licht angedreht. Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich erwachte, erschien Felicités nackte Schulter vor meinen Augen, während ich zuhörte, wie sie atmete, und während die Nachtgeräusche draußen vor der aufgehenden Sonne verstummten wie vor einem Verdikt. Ich blickte auf die schöne Partie, wo ihr Hals in die Schulter überging, eine zart gewölbte Kontur, die stieg und fiel, auf ihr Schlüsselbein, die seidig braune Kuhle dahinter. Die Rundung ihres Schultermuskels mit dem Knick, der entstanden war, weil sie im Schlaf ihren Arm ausgestreckt hatte. Die zarte Vene unter der Haut. Ein paar schwarze Haarsträhnen lagen auf ihrer Schulter, man hätte sie mit Absicht nicht schöner hinlegen können, jedes Haar schimmerte wie einzeln schwarz lackiert. Felicité steckte bis zu den Hüften in einem Berg zerrissener gelber Säcke, herausgefallener Papierknäuel, Joghurtbecher und aus den Falzen gegangener Tetrapaktüten. Sie atmete ruhig. Neben ihr ragten meine behaarten Beine aus dem Müll. Sie wirkten blass und fremd, als gehörten sie nicht hierher.
»Guten Morgen«, sagte ich, ohne mich zu rühren.
Felicité öffnete die Augen. »Was gibt’s zum Frühstück?«, fragte sie.
Wir krochen in der schräg stehenden Maschine erst einmal zum Seitenfenster hinauf, um uns einen Eindruck zu verschaffen. Das Flugzeug steckte, auf den linken Flügel gekippt, bis zum Kabinenboden im Modder. Um uns wuchsen Hunderte von Grasbüscheln in einem sumpfigen Gelände, in dem ab und zu auch ein paar Bäume standen. Einer davon hatte uns heute Nacht zum Stehen gebracht. Die Propellernabe hatte sich hineingebohrt, aus dem Baum war ein Haufen von Blättern auf uns heruntergefallen und hatte das Flugzeug zugedeckt, daher die absolute Finsternis, die nach der Notlandung geherrscht hatte. Nun stach die Sonne mit Lanzen durch die Lücken im Laub. Sie hatte das Einschussloch mit seinen Bruchadern in ein silbernes Spinnennetz verwandelt. Ich schob das Kabinenfenster vollends auf. Modergeruch stieg mir in die Nase. Ein Arm voll Blätter fiel herein, es wurde hell.
Am gegenüberliegenden Waldrand leuchteten die Baumkronen in explosiven Grüntönen. Der Himmel über der Lichtung war azurblau. Über dem Wasser zuckten Libellen in geometrischen Linien über der Wasserfläche hin und her, sie stießen in Rauchschwaden hinein, bei denen es sich vermutlich um Mücken handelte. Frösche versuchten, sich gegenseitig mit Quaksalven fertigzumachen. Aus dem Wald hörte man Rufen, Vögel möglicherweise. Sehen konnte man sie nicht. Einer rief eintönig in einem erkältet rauen Ton, dazwischen erklang das aufgeregte Juchzen eines anderen.
Ich beugte mich aus dem Fenster hinaus und schaute am Flugzeug vorbei nach hinten. Von unserer nächtlichen Notlandung keine Spuren mehr. Die Grasbüschel hinter uns schienen so unversehrt, als wäre seit Jahren niemand mehr hier vorbeigekommen.
»Am wichtigsten ist Wasser«, sagte Felicité so ruhig, als schreibe sie einen Einkaufszettel.
Wir sichteten unsere Bestände. Robinson war besser dran gewesen als wir, viel besser. Es zeigte sich, dass wir über zwei Päckchen mit Keksen verfügten, die Wessing neben seinem Sitz im Seitenfach gehabt hatte. Dazu besaßen wir drei volle Flaschen Evian und drei Päckchen Zigaretten, zwei von Wessings Marke, die sich unter dem Armaturenbrett fanden, und eines von Felicité. Und ihr Feuerzeug. Ich steuerte zu unseren Habseligkeiten meine ungewaschenen Kleider bei, Joseph Conrads »Heart of Darkness« und meine Reservekleidung, eine saubere Hose mit dazu passendem Hemd aus meiner Sporttasche. Außerdem meine schmutzige Wäsche, Zahnputzsachen, drei Einmalrasierer und eine Sprühflasche mit Autan. In De Vries’ Tasche fanden wir zwei Garnituren Unterwäsche und zwei neue Hemden. Und einen Lederbeutel mit einer guten Handvoll Rohdiamanten.
Die ich als Kurier überbringen sollte,
Weitere Kostenlose Bücher