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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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unserem Propeller hatten. Glück brauchten wir, keine Frage.
    Aber die Instrumente, von denen ich bislang nur die Tankuhr identifiziert hatte, leuchteten beruhigend, der Motor röhrte, wir schwebten, gehalten von unsichtbaren Kräften, über dem dunklen Land. Felicité saß neben mir, zündete sich die nächste Zigarette an, sah aus dem Fenster.
    Ich hätte nicht geglaubt, dass mir das in einer solchen Situation gelingen würde, aber ich war unbeschwert, ich war es tatsächlich. In dieser Stimmung entdeckte ich etwas zwischen den Bäumen, was ich übersehen hätte, wäre nicht das Mondlicht gewesen, das den Teppich der Baumwipfel versilberte. Da gab es eine Lücke. Eine dunkle Linie unterbrach die geschlossene Decke.
    »Da, links unten. Schau mal!«
    Ich brachte mit dem Seitenruder das Flugzeug nach links. Wir gingen in eine sanfte Kurve. Felicité öffnete ihren Gurt und lehnte sich über mich, durch die zerschossene Scheibe auf ihrer Seite konnte sie nicht genug sehen.
    »Formidable«, sagte sie. »Bleib dran. Ich glaube, es ist die Bahn.«
    Ich fädelte mich mit wackelnden Tragflächen über der schwarzen Linie ein. Nur ein dünner Riss im Teppich des Urwalds. Aber wenn es die Bahn war, dann war es unsere Nabelschnur zur Zivilisation. Wir hatten es geschafft.
    Ich roch den Rauch von Felicités Zigarette. Spürte Zuversicht, einen Hauch davon. Noch immer waren wir ein verirrter Leuchtkäfer über dem großen Wald, aber wir hatten ein Ziel.
    »Erzähl mir was«, sagte Felicité. »Was war das Beste, was du je erlebt hast?«
    Das Beste, was ich je erlebt hatte. Ich ließ die Finger über den abgenutzten Kunststoff des Steuerrads gleiten. Schaute auf die schwach leuchtenden Instrumente, roch das heiße Öl des Motors. Plötzlich liebte ich dieses alte Flugzeug, das uns aus der Gefahr gebracht hatte und das uns dorthin bringen würde, wo es Betten, Duschen und kalte Getränke gab. Was war das Beste, was ich je erlebt hatte? Ich dachte nicht nach, weil mir in diesem Moment etwas einfiel, vielleicht tatsächlich das Beste, was ich erlebt hatte.
    »Ich war noch klein«, fing ich an. »Vielleicht vier oder fünf. Meine Eltern waren ausgegangen, und ich hatte einen Babysitter. Ein Mädchen, ich glaube, Anja. Ja, Anja. So hieß sie. Ich weinte, weil meine Eltern weg waren und weil es dunkel war. Anja war damals zum ersten oder zum zweiten Mal bei uns, ich weiß es nicht mehr. Ich weinte jedenfalls und wollte, dass meine Eltern zurückkommen. Anja wusste wohl nicht, was sie tun sollte.« Ich warf Felicité einen Blick zu. »Sie hat ein Bett für uns gemacht auf dem Sofa«, fuhr ich fort. »Mit Kissen und einem Plumeau. Dann hat sie sich mit mir da reingelegt und mich in den Arm genommen. Sie trug einen langen Pferdeschwanz, und sie hat ihr Haar aufgemacht. Ich durfte mich damit zudecken. So schlief ich ein. Sie roch nach Veilchen, ein billiges Parfum wahrscheinlich. Aber ich kann es heute noch riechen, ich habe es mal gesucht in einer Parfümerie, aber ich habe es nicht gefunden. Obwohl ich es immer noch in der Nase habe.« Ich wandte mich zu Felicité. »Ist das nicht komisch?«
    »Nicht komisch«, lächelte sie. »Anscheinend warst du zum ersten Mal verliebt, Bern’. Das vergisst man nicht.«
    Ich hätte jetzt gern etwas Geistreiches gesagt, etwas wie: Und wann warst du zum ersten Mal verliebt – so oder ähnlich. Aber das klappt nicht bei mir. Außerdem passierte etwas, etwas, das zärtliche Themen, blondes Haar, eine beschützte Kindheit, alles, was sich gerade atmosphärisch aufgebaut hatte, aus den Kabinenfenstern hinaus in die Nacht riss.
    Der Motor setzte aus.
    Er spuckte, lief noch einmal an, für zehn Sekunden vielleicht, dann stand der Propeller endgültig still. Ich starrte Felicité an, als erwarte ich dazu einen Kommentar von ihr. Da aber die Situation für sich sprach, starrte sie nur stumm zurück. Schon während wir uns anstarrten, begannen wir, Höhe zu verlieren. Felicité drehte den Zündschlüssel. Der Anlasser wieherte, der Propeller ruckte ein paar Viertelkreise, dann stand er wieder still. Nachdem der Motor schwieg, hörte man jetzt, wie es in den Verstrebungen des Flugzeugs zu pfeifen anfing. Wir befanden uns im Sinkflug und wurden schneller. Die Tankanzeige? Ich starrte sie an, sie stand unvermindert auf Viertelvoll. Das Ding war kaputt, ganz einfach kaputt.
    Wessing hatte das gewusst, wurde mir klar. Er wusste, dass sie nicht mehr weiterkamen. Deshalb hatten sie keine Wahl gehabt vorhin an dem

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