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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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Radkappe darin, nahmen jeder vier zugefaltete Tetrapaks mit Regenwasser unter den Arm und stapften durch das Wasser, dessen Höhe schätzungsweise um eine Spanne zugenommen hatte. Am anderen Ufer angekommen, zupften wir uns die Blutegel ab, darüber verloren wir inzwischen keine Worte mehr, und krochen durch den Tunnel. Als wir am Bahndamm aus dem Gebüsch kamen und uns aufrichteten, war unsere Hütte nicht mehr da. Nur ein Haufen Blätter und Äste lag an der Stelle, an der sie gestanden hatte.
    Wir stürzten darauf zu, zerrten die Reste unserer Behausung auseinander. Nichts war mehr da von unserer Habe. Kein Gewehr, keine Kleider, die Tasche mit den Diamanten, alles weg.
    »Da ist jemand«, sagte Felicité.
    Sie sah sich um, die Augen geweitet, horchte. Ihre Schultern waren gespannt, die Hände streckte sie nach der Seite, als werde sie gleich angegriffen.
    »Ein Tier?«, flüsterte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. Noch immer drehte sie sich langsam um ihre Achse, um in alle Richtungen sehen zu können.
    »Kein Tier«, sagte sie leise. »Kennst du Tiere, die Gewehre stehlen?«
    Sie atmete rasch. Ihre Drehbewegung war zum Stillstand gekommen, mit dem Kinn deutete sie auf etwas.
    »Schau mal da hin«, raunte sie.
    Ich folgte ihrem Blick. Da hatte jemand etwas aufgebaut. In zehn Metern Entfernung standen unsere Taschen. Das Gewehr, noch im Futteral, lehnte an einem Baum, und vor dem Ganzen, unübersehbar, neben der zerfetzten roten Tengelmann-Tüte, der Affenschädel. Er stand auf einem kleinen, sorgfältig erbauten Podest aus Ästchen und Blättern wie der Kopf eines enthaupteten Kobolds.
    Ich spürte, wie Felicité neben mir zu zittern begann. Nahm ihre Hand. Sie packte zu, als wollte sie mir die Finger brechen. Gleichzeitig waren ihre Augen überall. In den Wipfeln fing es an zu juchzen, danach platzten ein paar Kaugummiblasen. Sonst war es still. Von fern der Chor der Frösche, noch etwas verstimmt vom Gewitter. Kein anderer Laut.
    »Wir müssen irgendwas machen«, flüsterte Felicité. »Da ist jemand, ich spüre es. Die sehen uns, aber wir sehen sie nicht. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir harmlos sind.«
    Inzwischen hatte sie mich angesteckt mit ihrer Angst. Ich spürte, dass meine Zähne wieder die fatale Neigung entwickelten zu klappern. Ich war auch noch ziemlich nass. Trotz der Hitze war mir kalt. Wenn wir unsere Harmlosigkeit bewiesen hatten, würde uns das etwas nützen?
    »Los, sing was«, zischte Felicité.
    »Ich soll singen?«, zischte ich zurück. »Was denn, um Himmels willen?«
    »Egal. Irgendwas.«
    »Ich – das ist doch Blödsinn!«
    Aber da sie nicht aufhörte zu zittern und offenbar selbst nicht in der Lage war zu singen, sang ich eben. Mit bebender Stimme – ich hatte lange nicht gesungen – sang ich das Erste, was mir einfiel, vielleicht war es auch das Letzte gewesen, was ich gesungen hatte. In der Schule damals oder bei den Pfadfindern. Ich sang »Im Frühtau zu Berge«. Nach dem zweiten »Fallera« ging mir der Text aus. Ich fing wieder von vorn an. So sang ich die erste Strophe von »Im Frühtau zu Berge« ein paarmal. »Wir wandern ohne Sorgen fröhlich in den Morgen«, sang ich zum vierten Mal, »bevor noch im Tale die Hähne kräh’n.« Dann konnte ich nicht mehr.
    Felicité drückte meinen Arm, gleichzeitig deutete sie mit dem Gesicht nach links. Dort stand jemand. Gerade eben waren dort nur Büsche und Blätter gewesen, jetzt stand da ein Mann.
    Ein kleiner Mann in blauen Shorts, sonst war er nackt. Er hatte dunkle, fast europäisch wirkende Gesichtszüge, trug einen Bart und besaß einen muskulösen Körper von hellbrauner Farbe mit einem Kupferton darin. In der Hand hielt er ein Gerät, das aussah wie eine primitive Armbrust. Der Mann war höchstens einen Meter vierzig groß. Über seiner Schulter hing ein Jutebeutel an einer Schnur. Er starrte reglos zu uns herüber. Ich überlegte, ob ich noch einmal singen sollte, aber das kam mir doch zu blöd vor.
    Obwohl der Mann dastand wie eine Statue und nicht einmal seine Augen bewegte, hatte ich das Gefühl, dass er uns nachhaltig studierte. Natürlich hatte er uns vorher schon beobachtet und mir beim Absingen von Wanderliedern zugehört, jetzt schien er als Nächstes herausbekommen zu wollen, was wir tun würden, nachdem er sich uns gezeigt hatte. Irgendetwas, vielleicht seine fehlende Mimik, verlieh ihm eine starke Präsenz. Ich verspürte den Wunsch, einen guten Eindruck auf ihn zu machen. Sein Gesicht hatte kaum Falten, er sah

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