Gabun - Roman
an dem man gewohnt hatte. Nun ziehe man herum, seit zwei Jahren schon, und suche einen neuen Wohnsitz. Vielleicht hier, vielleicht weiter im Süden. Der Sumpf hier, der ziehe Elefanten und Schweine an, das sei günstig, vielleicht konnte man hier eine Weile bleiben und Hütten bauen.
Auf die Frage, woher wir kämen, gab M’bale sich damit zufrieden, dass wir aus dem Westen kamen und nicht aus dem Osten, aus dem Osten kämen Leute, denen man nicht trauen konnte: »Tueurs, tout les gens.«
M’bale hielt inne. Der aufgeräumte Ausdruck war aus seinem Gesicht verschwunden. Er starrte ins Feuer, wo die Schildkröte vor sich hin brutzelte. Mir war schwindlig. Der Honig hatte meinen Hunger nur noch größer werden lassen. Ich versuchte, nicht an die Schildkröte zu denken, weil mir dann schlecht werden würde, aber ich musste etwas essen. Ich konnte mich sonst nicht auf den Weg machen, der uns bevorstand, falls M’bale so entgegenkommend wäre, uns mitzunehmen. Wir konnten auf ein solches Entgegenkommen nur hoffen, denn sonst würden wir hier zugrunde gehen, davon war ich überzeugt. Der Hund sah mich aufmerksam an, seine Zunge hing heraus, er hechelte in meine Richtung. Vermutlich sagte ihm sein Beschützerinstinkt, dass ich das schwächste Mitglied der Herde sei. Mit seinem kurzen sandfarbenen Fell, den großen Ohren und dem schmalen Gesicht sah er aus wie ein Straßenköter aus dem Wedding. Aber er hatte einen drahtigen Körper mit einer breiten Brust und machte einen trainierten Eindruck.
M’bale beugte sich über das Feuer, um die Schildkröte zu taxieren. Er nahm sein Hackmesser vom Boden auf, es war die vordere Hälfte einer abgebrochenen Machete mit einem provisorischen Griff aus gewickelten Lederstreifen, und klopfte damit gegen den Panzer der Schildkröte. Es gab einen Klang wie bei einem kaputten Blumentopf. M’bale nickte, stülpte die Lippen vor. Dann stand er auf und schob die Schildkröte mit dem Messer aus der Glut. Der Panzer war schwarz geworden, die herausgestreckten Beine und der Kopf total verkohlt.
Der Hund sprang auf und fiepte ein paarmal aufgeregt. Hat Hunger, dachte ich teilnahmsvoll. Ich war zwar genauso hungrig, aber aus Selbstschutz trat ich ein paar Schritte zur Seite und tat, als müsste ich etwas in meiner Tasche suchen, trotzdem hörte ich die Schläge, mit denen M’bale den Panzer der Schildkröte zerdepperte.
»Okay«, hörte ich ihn hinter mir sagen.
Als ich mich wieder umdrehte, schauten M’bale und Felicité mich auffordernd an, allerdings mit unterschiedlichem Gesichtsausdruck. In Felicités Miene erkannte ich unterdrückten Ekel und die stumme Bitte, ich möge unsere Überlebenschancen nicht empfindlich reduzieren, indem ich jetzt etepetete sei. Kindheitsbilder tauchten auf, Spinat, Wirsing, Blumenkohl. Gehasstes Gemüse, das ich jetzt ohne Zögern verschlungen hätte. Unerreichbar.
Ich hockte mich höflich zu Tisch. Vor uns lag der aufgeschlagene Panzer, randvoll mit den Eingeweiden der Schildkröte und ihrer entblößten Anatomie, die der eines platt gefahrenen Vogels ähnelte. An den Knochen klebte bestürzend wenig weißes Fleisch. Der Hund steigerte sein Hecheln. Er wusste, bald fiel etwas für ihn ab, und war restlos begeistert. Mit natürlicher Grandezza ermunterte uns M’bale zum Zugreifen. Er fischte ein Vorderbein aus der stinkenden Schüssel und reichte es Felicité hinüber, die es höflich entgegennahm. Dazu machte sie ein Gesicht wie meine Mutter, als Opa für uns Kutteln gekocht hatte. Er hatte es danach nie wieder getan, wenn sie dabei gewesen war.
Ich brauchte viel Kraft, um zuzugreifen, obwohl ich wusste, dass das Fleisch, das uns hier angeboten wurde, wahrscheinlich im Umkreis vieler Tagesreisen unerreichbar war. Ich fischte ein Hinterbein heraus, verbrannte mir dabei erst mal die Finger, aber ich ließ es nicht fallen, löste es mit einem Ruck aus dem Verbund von Knochen und Wirbeln, zu dem auch der Schwanz der Schildkröte gehörte, den ich lieber nicht gegessen hätte, ganz zu schweigen von dem, was sonst noch da lag.
Das Fleisch schmeckte wie Huhn, das ein paar Tage in Moorwasser gelegen hat. M’bale aß mit Appetit, er knabberte von den blanken Knochen die Knorpel ab und zerbiss anschließend die Röhren, um sie auszulutschen. Was übrig blieb, warf er dem Hund zu, der die Reste mit hochfrequenten Knackgeräuschen verputzte. Als das Muskelfleisch aufgegessen war, fischte M’bale nach den Organen der Schildkröte. Felicité bekam die Leber,
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