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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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überhaupt nichts mehr gab, würden sie zum Schluss einfach die Pfosten auffressen, damit hätten sie noch eine Weile ein Auskommen, auch wenn diese Geisterstadt bereits wieder aufgegeben worden war. Ich hätte Felicité gerne mal von den Termiten erzählt. Sie waren eigentlich noch interessanter als die Ameisen, weil sie in ihren Staaten nicht bloß eine Königin, sondern auch einen regierenden König hatten, und weil sie außerdem – Moment mal. Ich hörte ein Motorengeräusch. Es handelte sich eindeutig um ein Motorrad. Nein, um zwei Motorräder. Und es waren keine harmlosen Biker, die mal hier vorbeibullerten, so viel wusste ich bereits. Mein Fluchtreflex setzte ein, und zwar mit großer Intensität. Aber ich konnte doch nicht einfach davonlaufen. Wohin auch? Und Felicité war irgendwo da draußen, ich musste zu ihr.
    Ich rannte zur Tür. Sie klemmte. Ich warf mich ein paarmal dagegen, ehe ich begriff: Sie klemmte nicht. Jemand hatte in aller Stille den Riegel vorgeschoben, während ich hier über Termiten nachgedacht hatte. Das Motorengeräusch war inzwischen verstummt. Ich horchte, gegen die Tür gestemmt, auf einen Ruf, auf einen Schrei, auf etwas, das mich mobilisieren würde, als hätte ich nicht schon genug Adrenalin ausgeschüttet. Wäre ich nicht der gewesen, der ich war, dann wäre mir jetzt vielleicht eingefallen, dass ich De Vries’ Gewehr bei mir hatte. Mit vier Patronen, jede stark genug, um einem Büffel das Kreuz zu brechen. Aber das fiel mir nicht ein. Ich wusste ja nicht, was auf mich wartete. Hätte ich es gewusst, vielleicht dann.
    Als ich hörte, wie der Riegel geöffnet wurde, machte ich als Erstes einen Schritt rückwärts. Eine Sekunde später stand in der Türöffnung, von den Lampen im Gang beleuchtet, eine Gestalt wie aus einem bösen Traum. Sie ragte hinauf bis zum Türbalken. Schwarze Haut, eine großgliedrige Stahlkette um den Hals und eine winzige Lederweste auf dem nackten Oberkörper. Eine libellenartige Sonnenbrille, der Schädel glatt rasiert, die Ringerarme voller Silberreife. Lederhosen mit Fransen, ein Paar Stiefel mit silbernen Kappen an den Spitzen.
    Der glatzköpfige Riese ließ mir einen Atemzug Zeit, seine Wirkung in mich aufzunehmen, dann schrie er französisch klingende Worte auf mich herunter, deren Bedeutung komplett an mir vorbeischallte, tat ein paar klirrende Schritte in den Raum hinein und sah sich um. Die muskelschweren Arme mit den Armreifensortimenten daran pendelten um seine Schultern wie bei einem Kettenkarussell. Von seinem Hinterkopf hing ein Zopf herunter, entsprossen aus einem nicht rasierten Areal seines Schädels. Der Riese versetzte unserem Gepäck einen Fußtritt, drehte sich zu mir um und schrie mich wütend an:
    »The rifle! Where is the rifle?«
    Ich deutete auf das Gewehr, das in einer Ecke der Kammer lehnte, und rechnete mir einen Punkt aus dafür, dass er meinetwegen die Landessprache aufgegeben hatte. Er wollte verstanden werden. Noch klammerte ich mich an die Idee, dass gleich ein Geldgeschäft abgewickelt werden würde, zu meinen Ungunsten zwar, aber doch am Ende unter Partnern. Ich wurde eines Besseren belehrt. Der schwarze Unhold griff sich De Vries’ Gewehr, in seinen Pranken wirkte es wie Spielzeug. Dann starrte mich die insektenhafte Sonnenbrille einen Moment lang an, ich hatte Gelegenheit, den millimeterschmalen Schnurrbart zu bemerken, der sich zu beiden Seiten der dicken Oberlippe herunterzog wie ein Termitengang.
    »Come on«, knurrte der Riese.
    Er wartete meine Zustimmung nicht ab, sondern stocherte mit dem Gewehrkolben nach mir; ich wich aus, um keinen Puff abzukriegen. Ich wollte unser Gepäck ins Spiel bringen, indem ich darauf deutete, aber der Riese hatte damit nichts im Sinn. Er spannte bloß synchron seine Brustmuskeln in meine Richtung an, das genügte, um mich auf Trab und aus der Tür zu bringen.
    Ich beeilte mich. Seine Schritte dröhnten hinter mir auf den Planken des Gangs. Und in den zehn Sekunden, in denen er mich vor sich her trieb, auf die Kneipe zu, hatte ich Zeit, wieder an Felicité zu denken.
    Ehe ich mir noch irgendetwas ausmalen konnte, sah ich sie durch die offen stehende Tür in der Kneipe sitzen. Im Licht der Neonlampen aß sie Fritten von einem Teller, der vor ihr auf dem Tisch stand. Ihr gegenüber hockte ein weiteres Mitglied der Motorradbande. Ein fetter Typ, über seinen Oberkörper strammte sich ein Muscleshirt, das sein Fett in blutwurstähnliche Sektoren aufteilte. Zur Sonnenbrille trug er einen

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