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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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ausbreitete, brannte der Strich mit dem Daumennagel des Rastamannes noch immer wie ein heißer Reif aus Draht.
    Ich schloss die Augen. Wartete auf den Hieb. Zehn Sekunden lang blieb alles still. Dann öffnete ich die Augen wieder. Ich sah nach oben, in Duvalles Gesicht. Er starrte mich an, das Kinn vorgestreckt.
    »Ihre Geschichte ist so unwahrscheinlich, dass sie kaum gelogen sein kann, Herr Jesper. Und Sie haben ausreichend Angst, sich um die Wahrheit zu bemühen, das sieht man Ihnen an. Bis dahin haben Sie mich überzeugt.«
    Er hatte Deutsch gesprochen. Die drei Unholde hatten witternd die Köpfe gehoben, sahen ihn irritiert an. Der athletische Riese, der mich noch immer festhielt, ließ in demonstrativem Unwillen die Fingerknöchel an seiner freien Hand knacken.
    »Allerdings«, fuhr Duvalle fort, »kann man meine Wölfe hier durch Worte allein nicht überzeugen. Sie glauben nicht an Worte, sie glauben an Zeichen. Eines Tages, Herr Jesper, werden sie vielleicht auch mich fressen. Es gibt wenig, was sie davon abhält.« Er beugte sich zu mir herunter. »Ich muss sie hungrig halten und ihnen ab und zu Futter geben. Solange sie mir aus der Hand fressen, beißen sie nicht. Wir werden also ein Zeichen setzen.«
    Mit der flachen Hand führte Duvalle eine kirchenwürdige Geste in Richtung der drei Typen aus, die missmutige Gesichter machten, weil er im Deutschen geblieben war. Sie mussten sich gedulden.
    »Sie haben mich gefragt, Herr Jesper, was mit Ihnen geschehen wird, und ich habe gesagt, dass ich das nicht weiß. Ich weiß es noch immer nicht, aber ich habe entschieden, dass wir einfach das Schicksal fragen werden. Meine Wölfe wissen vieles nicht, aber sie wissen, was ein Würfel ist. Wir spielen ein Spiel zusammen, Sie und Ihre reizvolle Begleiterin treten gegen meine Getreuen an. Sie, Herr Jesper, würfeln um eine ungestörte weitere Nacht. Ihr Einsatz ist Ihre linke Hand, und derjenige der jungen Dame ist das, was sie meinen Wölfen zu geben hat, wenn ich ihnen erlaube, es sich zu nehmen. Das ist amüsant, oder? Wir spielen ein spannendes Spiel, und meine Landsknechte können sehen, wie lange das Ding da, das Sie mitgebracht haben, Sie beschützen kann.«
    Ich fühlte tiefen Hass gegen Duvalle. Ein Gefühl, das ich bisher noch nicht gekannt hatte. Ich hasste ihn weit mehr als den Rastamann mit seiner Machete. Die verlogene Intimität, zu der er mich zwang. Seine maliziöse Art, mich auf Deutsch zum Zeugen seiner perversen Einfälle zu machen.
    »Sie sind vollkommen verrückt«, wagte ich zu sagen.
    Ohne mich um die Konsequenzen zu kümmern. Vielleicht war das mutig. Der Hass half.
    »Meinen Sie? Wir haben hier den Dreißigjährigen Krieg, Herr Jesper. Wir sind die Hefe dieses Krieges, wir gehen darin auf, Sie, ich und noch viele andere. Was glauben Sie, wie viele ängstliche junge Männer und schöne Frauen ihr Leben lassen mussten, dort, wo Sie herkommen? In Ihren Kriegen, in den Kriegen, die Europa groß gemacht haben? Das alles ist vielleicht verrückt, nicht ich. Ich bin nur ein Teil davon, ich bin zwangsläufig.«
    Duvalle sagte ein paar Sätze, nicht französisch, nicht englisch, nicht deutsch. Die drei Typen entspannten ihre Kinnladen, sie fingen an zu lachen. Duvalle warf dem Dicken einen Lederbecher zu. Er fing ihn auf und stellte ihn auf das Pult.
    »Sie würfeln als Erster, Herr Jesper«, sagte Duvalle.
    Ich konnte Felicité nicht ansehen. Ich sollte um sie würfeln. Ich hatte sie schon nicht beschützen können, nun sollte sie auf Gedeih und Verderb von meinem Glück abhängen. Aber mein Pech würde mich auch meine Hand kosten. Der Dicke hatte einen Würfel zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten. Er ließ ihn in den Lederbecher fallen.
    »Jeder hat nur einen Wurf«, sagte Duvalle. »Fangen Sie an.«
    Was, wenn ich nicht würfeln würde? Ich musste es tun, sonst hätte ich die Chance auch noch vergeben. Felicité nahm ich nur als Silhouette wahr, am Rand meines Gesichtsfelds. Makellos und unbeweglich stand sie da, wie eine Statue.
    Ich nahm den Becher. Meine Hand zitterte. Wenn ich je gebetet hatte, dann in diesem Moment. Ich wusste nur nicht, zu wem. Mein Verhältnis zu Gott war seit Langem sprachlos geworden, und von den Göttern, die hier zuständig sein konnten, fiel mir nur Maka ein. Aber Maka würde mir nicht helfen, Maka wollte meinen Tod.
    Dann sah ich plötzlich den Alten vor mir, sein runzliges Gesicht, die in den Gaumen geschlagenen Zahnstummel. Ich hörte ihn in mein Ohr flüstern.

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