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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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klaubte eine Machete von dem Pult, auf dem er gesessen hatte. Der Riese mit dem Zopf stand ebenfalls auf. Die beiden hatten mich in der Mangel, ehe ich nur daran denken konnte, mich zu wehren. Sie hielten meine Arme gepackt und zerrten mich zu einer Schulbank. Es war ein Kinderpult, ganz klein, für die erste Grundschulklasse gebaut. Mein Herz stolperte, ich rechnete mit einer Exekution. Zu meiner Überraschung überkam mich zusammen mit dieser Annahme Gleichgültigkeit. Sie stieg als warme Welle auf, direkt aus meiner Brust. Zuerst dachte ich, mein Herz stünde vollends still, aber es war etwas anderes. Ich wehrte mich nicht mehr und spürte auch keine Panik. Ich würde jetzt sterben. Die Ergebenheit des Lamms, das geschlachtet werden soll. Der Stutzer hielt meinen Unterarm in seinem Schraubstockgriff. Er hatte einen Lederriemen aus der Tasche geholt und wickelte ihn um meinen linken Arm.
    »Sie sind Rechtshänder, nicht wahr?«, sagte Duvalle, der neben mich getreten war. »Ich habe mich davon überzeugt, vorhin beim Kaffeetrinken. Wir nehmen daher erst mal die Linke. Keine Sorge, Herr Jesper, meine Leute haben Erfahrung mit solchen Operationen, Sie werden nicht verbluten. Wissen Sie eigentlich, dass menschliche Hände in den Zeiten der europäischen Verwaltung des Kongo als Tauschmittel beliebt waren? Hände gegen Geld oder gegen Munition. Schwarze Hände natürlich, das versteht sich. Hände als Strafe für Ungehorsam oder einfach so, ganz ohne Grund. Heute Abend, Herr Jesper, tauschen wir eine weiße Hand gegen die Wahrheit. Ich bin sicher, wir erfahren jetzt gleich, was es auf sich hat mit Ihrer seltsamen Trophäe.«
    Duvalle deutete auf die Rückwand des Klassenzimmers. Erst jetzt sah ich den Schädel. Ich konnte ihn auch aus meiner erzwungenen Haltung gut erkennen. Er stand auf einem separaten Pult, schmutzig braun, die Zähne gebleckt, und starrte aus seinen toten Augen zu uns herüber. Ein Schmerz zuckte durch meinen Arm. Der bezopfte Stutzer hatte unterhalb meines Ellbogens eine Schlinge in den Riemen geknüpft und zog sie stramm. Nun fixierte er mit seiner Pranke meinen Unterarm auf dem Pult, so fest, als wäre er dort angenagelt. Im Holz waren zwei Einschusslöcher. Ich konnte nicht erkennen, ob die dunklen Flecke auf der Platte wirklich von Tinte stammten, ich wollte es auch nicht wissen. Der Lederriemen schnitt in meinen Arm, meine Finger begannen taub zu werden. Aber ich musste hinsehen. Ich musste auf meinen Arm sehen, auf meine Hand. Weich, weiß und sehr verletzlich sah sie aus neben der mit fünf Ringen geschmückten Klaue des Riesen. Vielleicht sah ich sie zum letzten Mal.
    Der Rastamann trat neben mich, dabei klopfte er sich mit der flachen Klinge der Machete in die Handfläche, ein leises Klatschen. Die Schneide fing das Licht der Gaslampen ein, sie schimmerte frisch geschliffen. Dann beugte er sich zu mir herunter und starrte mir mit seinen eng stehenden Pavianaugen, deren Iris schwarz war, forschend ins Gesicht. Nachdem er mich ein paar Sekunden lang angestarrt hatte, grinste er und fuhr mir langsam mit seinem Daumennagel über das Handgelenk. Ich spürte jeden Millimeter. Als würde er sie mir jetzt schon abschneiden. Sein spatelförmiger, mit Dreck unterlegter Nagel hatte einen weißen Strich auf meiner Haut hinterlassen.
    »Schießen Sie los, Herr Jesper. Erzählen Sie. Wir hören Ihnen zu.«
    »Ich war im Wald«, hörte ich mich stammeln. »Wir haben dort übernachtet, die Leute aus der Lodge und ich, für eine Fotosafari. Ich musste pinkeln und traf im Klo auf einen alten Mann, der hatte den Schädel umhängen. Der Mann ist mir später wieder begegnet in der Lodge, als die anderen beim Abendessen saßen. Ich habe ihm Essen aus dem Kühlschrank gegeben. Danach lag der Schädel in meiner Hütte. Es hieß, ich müsste ihn behalten, weil es ein Fetisch ist. Ich sollte ihn nicht wegwerfen, weil er sonst zu mir zurückkommen würde. Deshalb habe ich ihn mitgenommen.«
    Es war die Wahrheit. Nicht die ganze, die würde ich nicht preisgeben, weil sie mir nichts half. Auch die ganze Wahrheit würde meine Hand nicht retten. Und wenn Duvalle die Diamanten entdeckte, waren wir so gut wie tot. Ich konnte nur hoffen, dass sie noch in dem vermaledeiten Schädel steckten, der mich meine Hand kosten würde.
    Mein Atem ging pfeifend wie eine kaputte Pumpe. Ich versuchte, alles Gefühl, das sich vielleicht noch in meinem Unterarm befand, herauszunehmen. Aber obwohl sich bereits Taubheit in meiner Hand

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