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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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keine rote Erde. Stattdessen eine prasselnde Flut krabbelnder Leiber, Fühler, Köpfe, Beine, drohend ausgestreckter Mandibeln.
    »Treiberameisen!«, schrie ich.
    Ich spürte die Ameisen oberhalb meiner Stiefel, wo sie durch den Stoff der Hose gekommen waren. Fünfzig Meter. Noch fünfzig Meter zum Hubschrauber, vielleicht zehn Sekunden. Ich hörte die anderen schreien, fluchen, auf die Kleider schlagen. Im Rennen hoffte ich, dass es sich nur um die Vorhut handelte, um die Späher, und nicht um die Hauptmasse, die in mehreren Schichten übereinander eine Rollbewegung ausführen konnte, die uns spielend überholen würde. Ich rannte, wie ich nie gerannt war. An meinen Beinen brannten die Bisse, wütende Ameisensoldaten hatten erkannt, dass ich fremd und fressbar war, sie kämpften sich durch zu meiner bloßen Haut und hakten ihre Mandibeln hinein, gleichzeitig versprühten sie Duftsignale, die die anderen herbeiriefen.
    Ich hörte Felicité, die vor mir mit De Vries lief, beim Rennen anhaltend schreien. Mit ihren nackten Beinen war sie von uns am Schlechtesten dran. Es gab nur noch ein Ziel: die beleuchtete Einstiegsluke des Hubschraubers, die Aluminiumleiter, die daraus herunterhing. Wir waren bereits unter der rettenden Öffnung. Indirekt beleuchtet, kauerten über uns zwei zusammengeduckte Gestalten. Sie hielten Gewehre in den Händen, zwei dünne rote Linien zitterten von den Zielfernrohren aus in die Nacht, sie zeigten in die Richtung, aus der wir angerannt kamen.
    »Abflug!«, brüllte Wessing den beiden Scharfschützen entgegen. »Schnell. Wir müssen hier weg!«
    Auf den letzten Metern waren meine Beine schwer von ein paar Pfund Ameisen, die sich in den Stoff verbissen hatten und an mir hinaufkletterten. Felicité hing bereits an der Leiter, De Vries schrie ihr etwas ins Ohr, und sie blieb auf der zweiten Sprosse stehen. Er schlug ihr mit seinem Hut die Ameisen von den Beinen herunter. Sie hastete nach oben, dann war De Vries auf der Leiter, streifte seine Hosen, auf denen es wimmelte, herunter und ließ sie nach unten fallen. Der Motor des Helikopters lief rumpelnd an, die Rotorblätter drehten sich. De Vries und Felicité waren oben.
    »Gebt Stoff«, schrie Wessing, an der Leiter hängend, zu der Besatzung hinauf, seine untere Hälfte war von einem dunklen Pelz aus Ameisen bewachsen. »Drückt sie runter!«
    Der Pilot schien unser Problem verstanden zu haben. Ich schlug mir mit der Hand die Ameisen von den Ärmeln herunter, unterhalb der Taille sah ich schon aus wie ein Bär, aber meine Stiefel erlaubten mir nicht, die Hose auszuziehen. Die Rotoren nahmen Geschwindigkeit auf, die Turbine kam auf Touren, der Luftdruck klatschte mir die Haare an den Kopf und riss an meinem Hemd. Als ich hinter Wessing die Leiter hinaufkletterte, wurden die Insekten, die sich noch nicht festgebissen hatten, weggerissen, flogen von unseren Kleidern. Jemand packte meine Hand. De Vries beugte sich aus der Öffnung heraus und zog mich hinein. Dabei rutschte ihm sein Gewehr von der Schulter und fiel auf den Boden neben der Luke.
    Ich stieg hinauf. Man schlug mir die Ameisen von den Kleidern, sie purzelten in die Tiefe, der Luftdruck des Rotors riss sie weg. Es gelang. Die heruntergeschlagenen Ameisen flogen aus der Luke hinaus in die Nacht. Ein paar Dutzend Bisse hatte ich abbekommen, sicher weniger als Felicité, die eine Decke gereicht bekam und sie sich um die Beine wickelte. Die Leiter wurde hochgezogen. Unter den kreisenden Rotorblättern zeigte die Bordbeleuchtung ringsum einen dunklen Teppich. Es sah aus, als habe jemand ein paar hundert Quadratmeter schwarze Auslegeware im Busch verlegt.
    Wir hatten uns neben die Luke gehockt, De Vries in Unterwäsche und Felicité in ihrer Decke, und schauten in die grinsenden weißen Gesichter der beiden Scharfschützen, die ihre Gewehre hochkant in eine Halterung eingehängt hatten. Einer von ihnen hob den Daumen und grinste, als die Drehzahl des Rotors nach oben ging; es war der Moment, in dem ich beschloss, die restlichen Ameisen loszuwerden, die noch in den Falten meiner Stiefel hingen.
    Ich schlug sie herunter, trampelte auf den Boden und stieß dabei gegen Wessing, der gerade mit demselben Ziel aus seiner Hose gestiegen war und sich an dem Geländer festhielt, das den Aufgang zur Pilotenkanzel säumte. Der Hubschrauber verlor den Kontakt zum Boden und kippte in die Schräge. Ich schwankte und streckte die Hand nach Wessing aus, und ich hätte ihn auch erwischt, wenn ich nicht im

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