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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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Ort, an dem ich jemanden kannte, und der einzige Ort, an dem ich mich verstecken konnte. Ich konnte nur hoffen, dass Victor mitmachen würde. Als ich die Kreuzung zur Durchgangsstraße erreicht hatte, bewegte ich mich noch immer in gehobenem Schlendertempo, ich strebte mit klopfendem Herzen zum Ortsausgang. Einmal sauste ein Auto an mir vorbei und hüllte mich in eine Staubwolke, während es davonbrauste. Kein Landrover, irgendein Toyota oder Mitsubishi, was auch immer.
    Ich war inzwischen um einen Satz chinesische Küchenkleidung reicher, die so auffällig war wie Sträflingsklamotten, und um fünfzig Dollar, die in der Tasche meiner Hose steckten. In der Plastiktüte, die ich trug, befanden sich der Affenschädel, eine verschmutzte Jeans, ein ebensolches Hemd und ein Paar verdreckte Schnürstiefel. Und ein Werk der Weltliteratur, das »Herz der Finsternis«, das hatte ich immer noch, es war mir bisher noch nicht gelungen, das Buch zu verlieren oder irgendwo zurückzulassen. Die Straße führte vom Ortsende weiter ins Ungewisse, eine lange Schrunde im roten Sand. Reihen von Felskämmen säumten sie in den kahlen Hügeln wie das Gebiss eines Dinosauriers. Vor dieser Kulisse lag verloren die Tankstelle. Niemand zu sehen. Ich überwand die restlichen dreihundert Meter schattenlose Ödnis, überquerte die Zufahrt und klopfte an die Scheibe.
    »Victor!«, rief ich.
    Ich hätte nicht damit gerechnet, aber Victor kam tatsächlich heraus.
    Er blinzelte mich an. Erkannte mich aber nicht, wie hätte er auch.
    »Sumire«, sagte ich, »Sumire hat gesagt, ich soll hier auf sie warten. Mein Handy ist leer. Sie hat mich vor einer Woche hierhergebracht und will mich wieder mitnehmen. Weißt du was von ihr? Wann sie kommt? Ich bin Bernd.«
    Bernd, dem es brennt, so musste es sich wohl anhören. Meine Sätze hatte ich auf Englisch herausgestottert, vermischt mit französischen Brocken. Aber Victor hatte mich verstanden. Er warf einen Blick auf seine Digitaluhr.
    »Heute nicht«, sagte er. »Morgen vielleicht.« Er zuckte mit den Achseln. »Sie kommt vielleicht übermorgen«, schob er nach, die Optionen noch etwas ausweitend.
    Ich holte einen meiner Zehn-Dollar-Scheine aus der Tasche. »Kann ich solange hier bleiben?«
    Victor sah mich an, die Lippen gekräuselt. Seine Hand bewegte sich zur Schläfe, wo er sich kurz kratzen musste, dann griff er an seinen Mützenschirm und ruckelte ihn zurecht.
    »Okay«, sagte er.
    Victor besaß einen Gameboy und eine Unmenge Autozeitschriften in französischer Sprache. Die meiste Zeit saß er in seinem Büro, einem Raum, der mit Pin-up-Bildern aus alten Pirelli-Kalendern tapeziert war und eine Vorliebe für blonde Frauen mit großer Oberweite erkennen ließ. Die Frauen posierten auf Autoreifen oder Geländewagen, ein paar davon auch auf Motorrädern. Auf einem Tisch lagen verstaubte Stapel von Papieren, jemand hatte dekorativ ein paar Stempel darübergestreut. Davor stand ein ausgedienter Bürostuhl auf Rollen. Die Tankstelle wirkte vom ersten Moment an auf mich, als sei sie eine Kulisse, vielleicht für einen der Filme, die nach der Apokalypse spielen, wenn es kaum mehr Menschen gibt und nichts mehr funktioniert. Und niemand zum Tanken kommt natürlich, zumindest das stimmte, denn es kam niemand, den ganzen Tag lang nicht.
    An einer Unterhaltung mit mir war Victor nicht interessiert. Nachdem ich mich ein wenig umgesehen hatte, fragte ich ihn, wo ich heute Nacht schlafen könnte, und er wies mir einen Platz in der Werkstatt an, wenn man die Garage so nennen wollte, in die man zwei Auffahrschwellen hineinbetoniert hatte und in der eine verlassene Werkbank darauf wartete, dass man etwas mit ihr anstellte. In einer Ecke des Raumes brummte der Stromgenerator, auf der Werkbank lagen ein paar verloren wirkende Zangen und Schraubenschlüssel, drei gebrauchte Autobatterien standen daneben, die einzigen Zeugnisse davon, dass hier Reparaturarbeiten stattfanden. Victor fand irgendwo eine alte Campingliege für mich. Wir falteten sie auseinander, vorsichtig, weil der Stoff an den Ecken zu reißen begann. Als ich sie neben die Werkbank platzierte, flohen zwei Eidechsen gewandt über den Betonboden. Sie rannten fast aufrecht mit angeklappten Vorderbeinen und balancierten mit dem Schwanz, wie winzige Dinosaurier. Nachdem sie in den Ecken verschwunden waren, zeigten sich keine weiteren Lebewesen mehr.
    Da die Kundschaft ausblieb, fragte ich mich, ob Victor überhaupt Benzin dahatte. Es gab aber zwei Zapfsäulen,

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