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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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an, als bewege sich der schwere Lastwagen nicht über eine Straße, sondern über das Meer. Durch das offene Fenster blies der Wind wie in einem Umluftbackofen.
    »Kann sein«, sagte Sumire schließlich nach einer Pause. »Vielleicht kenne ich ihn, vielleicht auch nicht. Gibt viele Arschlöcher von der Sorte.«
    Sie sprach gedehnt. In ihrer Stimme war etwas, ein rauer Ton, der zuvor nicht da gewesen war.
    »Er wollte mir die Hand abhacken lassen.«
    Ich sagte es, ohne nachzudenken. Sumire sah zu mir herüber. Ihr Blick glitt an mir herunter, kühl, amüsiert fast.
    »Du hast sie ja noch beide«, stellte sie fest. »Anscheinend hast du Glück gehabt.« Sie schnaubte durch die Nase. »Und jetzt willst du wissen, wo ich meine gelassen habe, oder? Willst du doch.«
    Ich kam mir blöde vor, weil ich davon angefangen hatte. Aber vielleicht wollte ich es doch wissen.
    »Ich war im Krieg«, sagte Sumire. Sie dehnte die Schultern, schloss für einen Moment die Augen und legte den Kopf zurück. »Hier ist immer Krieg. Und ich habe gekämpft, da war ich zwölf.«
    Der Lastwagen quälte sich durch tiefe Rinnen, vom Regen ausgewaschen und mit Sand gefüllt. Die Vorderachse schob hin und her, hinten drehten die Antriebsräder durch. In den Verbindungen des Aufliegers ächzte es, als wir uns wieder zu einem tragfähigen Teil der Straße hinaufarbeiteten.
    »Kannst du Auto fahren?«, fragte Sumire.
    »Sicher kann ich fahren.«
    »Okay. Wenn du mich mal ablöst, sind wir schneller dort. Am Meer.«
    Sie warf mir einen Blick zu, als prüfe sie, wie das bei mir ankam. Es war kein koketter Blick. Die Kühle von vorhin war noch immer darin.
    »San-si-bar«, sang Sumire. Legte den Kopf schief und wechselte übergangslos zu einem strahlenden Lächeln. »Reiche Leute, Strand, jede Menge Bars gibt’s da und gute Musik. Dort sind die Saudis, die haben Geld.«
    Sie klopfte mit dem Haken einen kurzen Rhythmus aufs Lenkrad. Hob ihn zu mir herüber und drehte ihn vor meinem Gesicht hin und her.
    »Das hier. Wolltest du ja wissen. Die Leute aus Kasai, die möchten schon immer nach Katanga, verstehst du. Seit hundert Jahren schon. Kasai ist arm, dort ist bloß Dschungel, nichts sonst. Ein bisschen Maniok, faulige Bananen, kein Fleisch, Krankheiten. Nichts zu essen, kein Geld. Die Leute aus Kasai wollen nach Katanga, weil man dort Geld verdienen kann.«
    Ihre Linke mit dem Haken schlug rückwärts gegen das Blech der Trennwand, aggressiv und laut. Bamm-badamm-bamm!
    »Das Zeug da hinten kommt aus Katanga, alles illegal. Es ist Erz. Man darf es nicht ausführen, nach dem Gesetz müsste es in Katanga verarbeitet werden. Aber du wirst sehen, wenn wir an die Grenze kommen, nach Sambia, dann müssen wir lange warten, weil dort dreißig, vierzig Lastwagen stehen. Alle für den Transit und alle voll mit Erz.«
    »Was für Erz?«
    Sumire zuckte die Achseln.
    »Kupfer, Kobalt und anderes Zeug, worauf die Europäer und die Chinesen scharf sind. Keine Ahnung, mir egal. Ich fahre es, das reicht mir.«
    Sie hakte die Linke am Steuerrad ein, griff mit der Rechten auf die Ablage unter den Armaturen und holte eine aufgerissene Packung Zigaretten heraus. »Zünd uns mal zwei an.«
    Als ihre Zigarette brannte, nahm sie einen tiefen Zug. »Gabriel Kyungu«, sagte sie dann, »Gabriel Kyungu war der Chef von Katanga. Ein Freund von Mobutu, sie haben zusammen Zigarren geraucht im Fernsehen. Das war vor fast zwanzig Jahren. Mobutu hat zu ihm gesagt, er soll die Leute, die aus Kasai gekommen waren, wieder aus Katanga rauswerfen. Dafür brauchten sie Soldaten. Ich war einer davon.«
    Ihr Kopf, das Profil modelliert aus Rundungen, schaukelte auf dem schlanken Hals, während sie den schweren Lastwagen auf die roten Berge am Horizont zurollte. Die Berge waren noch nicht näher gekommen, seitdem sie aufgetaucht waren.
    »Sie kamen in unser Dorf und töteten die Erwachsenen mit Macheten. Sie haben alle getötet, die älter waren als vierzehn oder fünfzehn. Sie wollten die Kinder. Ich war zwölf. Ich war gut in der Schule. Als die Soldaten gingen, gab es keine Schule mehr und kein Dorf. Wir Kinder mussten mitkommen.«
    »Hast du da deine Hand verloren?«
    Sumire schüttelte den Kopf. »Dann hätten sie mich erst gar nicht mitgenommen, sie hätten mich gleich totgeschlagen. Zum Schießen brauchst du beide Hände. Das da ist später passiert. Wir sollten eine Straße blockieren, irgendwo, keine Ahnung, wo das war, und wir wussten auch nicht, gegen wen wir kämpften, es war eben

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