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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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und in der gesamten Anlage stank es penetrant nach vergossenem Diesel. Zweimal sah ich Victor telefonieren. Mir rutschte schon das Herz in die Hose. Aber offensichtlich unterhielt er sich bloß mit jemandem. Er schwatzte lange und sehr ausführlich, dem Klang nach drehte es sich um heitere Belanglosigkeiten. Ob er mich verraten würde? Wie Bruno es getan hatte mit seinem Sinn für Gangsterfilme und schnelle Geschäfte? Ich entschied, dass Victor nicht der Typ dafür war, wenn man es so ausdrücken mochte. Der Ort, an dem er arbeitete, oder den er bewachte – was kaum einen Unterschied machte, er verrichtete ja ohne Zweifel Arbeit –, dieser Ort hatte ihn geprägt und umgekehrt er ihn. Vielleicht bewachte er die Tankstelle auch nicht, sondern er war hierher verbannt worden. Das wäre eine weitere Möglichkeit gewesen.
    Victors Tankstelle besaß die karge Schönheit von Orten, an denen nichts aufeinander abgestimmt ist, ihre Bestandteile und ihre Umgebung hatten keinen Bezug zueinander. Sie hätte in Sibirien oder in Patagonien stehen können. Sie hätte auch einfach vom Himmel gefallen sein können. Das Metallgebäude mit seinen körnig gewordenen Aluminiumprofilen und den getönten Kunststoffscheiben knackte alle zehn Sekunden, ohne den Schmelzpunkt zu erreichen, der ihm ermöglicht hätte, in ein erlösendes Nirwana zu verschwinden. Die einzigen Geräusche neben dem Knacken waren Victors piepsender Gameboy, die brummenden Aggregate des Kühlschranks, in dem Victor ein paar Sixpacks Bier und Diet-Coke verwahrte, und der Generator in der Garage, der den ganzen Tag Benzin in Strom verwandelte. An den Wänden von Victors Büro warteten die erstarrten Frauen in ihren lasziven Posen darauf, dass jemand sie noch einmal anschaute. Sie versprachen etwas, das nie versprochen werden sollte, und führten damit die Gleichgültigkeit der Dinge an Victors Tankstelle zur Vollendung. Ich war fasziniert von diesem absurden Sortiment von Dingen, irgendwo hergestellt und auf unerklärliche Weise zusammengekommen, implodiert nach Novonbashi. Es hätte auch noch ein Bechsteinflügel oder ein Zimmerspringbrunnen da stehen können, ohne die Wirkung wesentlich zu steigern.
    Nach einem weiteren Rundgang, dem fünften oder sechsten, fühlte ich, wie die Zeit mir zu entgleiten begann. Ich legte mich auf die Liege in die nach Diesel stinkende Garage, zu dem brummenden Generator, um zu schlafen, das schien mir noch die angemessenste Art, die Zeit totzuschlagen.
    Mit dem Einbruch der Dunkelheit, also um etwa achtzehn Uhr, erschien Victor und holte mich zum Essen. Wir setzten uns ins Büro und aßen kalte Ravioli in Tomatensauce aus zwei Dosen, die Victor für uns geöffnet hatte. Das passende Essen in dieser Umgebung. Victor führte, während er aß, mit der Gabel einige Bewegungen in der Luft aus und erklärte mit englischen Brocken, dass er manchmal auch warmes Essen hole. Oder es komme jemand vorbei und bringe ihm was, nur heute nicht.
    »Too hot«, sagte er. »Maybe later. Or tomorrow.«
    Wieso eigentlich niemand zum Tanken komme, wollte ich wissen. Es gab doch einige Autos hier, ich dachte an den Wagenpark des »Yang Tse«. Aber vielleicht organisierten die Chinesen ihre Treibstoffversorgung ja selbst.
    »Out of order«, erklärte Victor. Mit einem resignierten Blick wies er auf die Zapfsäulen. Sein Gesichtsausdruck hätte weiteres Nachfragen unhöflich erscheinen lassen.
    Sumire kam am nächsten Morgen. Ihr Lastwagen war der einzige, der in die Einfahrt einbog, weshalb, war mir ja erklärt worden, und ich ahnte, dass sie darin saß, noch ehe sie die Tür aufgemacht hatte. Sie fuhr einen anderen Laster, er war in einem lebhaften Himmelblau lackiert und deutlich größer als der, in dem ich mitgefahren war. Er hatte vorn eine altmodisch wirkende Schnauze und zog einen langen Auflieger hinter sich her. Das Blech am Führerhaus war verbeult, die Plane, die über den Anhänger gezurrt war, hatte man mit Draht geflickt und mit verschiedenen Graffitis besprüht, von denen ich nur eines entziffern konnte, als das Ungetüm vor der Tankstelle angehalten hatte. »Dieu est juste« stand dort in Veilchenblau. Ich las es gleich noch einmal, um sicher zu sein.
    Das Nageln des Motors erstarb. Victor und ich, Empfangskomitee, standen einträchtig nebeneinander. Die Fahrertür klappte auf, Sumire erschien mit graziler Haken-Akrobatik, klinkte ihre Prothese aus der Tür aus, winkte zu uns herüber. Victor murmelte eine Willkommensbeschwörung und ging

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