Gabun - Roman
los, sie zu begrüßen.
Ich blieb stehen, wie angewachsen, meinem Schicksal ausgeliefert. Keine Ahnung, was ich zu ihr sagen, worum ich sie bitten sollte. Sie sollte mich bloß mitnehmen, weg von hier, wohin auch immer. Ich wollte nicht an diesem Ort bleiben, an dem die Zeit auf tückische Art stehen bleiben konnte, wo man mit nackten Frauen auf Kalenderblättern, mit einem Gameboy und kalten Ravioli aus der Dose in einer kaputten Tankstelle auf das Ende der Welt wartete.
Ich schaute Victor und Sumire zu, die einen Begrüßungsplausch hielten. Sumire fuhr sich ein paarmal mit ihrer Prothese über die wolligen Haare, der Haken blitzte im Sonnenlicht auf. Sie sah zu mir herüber.
»Hallo, Bernd.« Sie deutete einen Hakengruß gegen die Schläfe an. »Alles okay mit dir?«
Ich atmete tief ein und wollte meine Sache vortragen, aber sie winkte ab. Ich solle ihr mal helfen, meinte sie. Wir luden Kisten mit Cola und Bier aus, die sie auf dem Beifahrersitz deponiert hatte, und Victor verstaute die Getränke in seinem Büro. Sumire ging zu ihm hinein, anschließend wurde die Tür zugemacht und drinnen über irgendetwas verhandelt, wovon ich nichts mitbekommen sollte.
»Steig ein«, sagte Sumire, als sie zurückkam.
Ich kletterte auf den Beifahrersitz. Gleichgültig, wohin sie fuhr, ich hatte sowieso keine andere Wahl. Dennoch hätte ich gern mehr gewusst.
»Wo fährst du hin?«
»Ans Meer«, sagte sie.
Sie warf mir einen Blick zu, lachte. Schob den Kopf zum offenen Fenster hinaus und wechselte ein paar Worte mit Victor. Ich starrte auf die Geistertankstelle, vor der wir standen, ihre Konturen waberten so heftig in der Hitze, als hätten die Moleküle doch noch den Trick herausgefunden, wie sie sich dematerialisieren konnten. Ich beschloss, Sumire erst einmal gar nichts mehr zu fragen. Ich machte mir klar, dass ich einfach Glück gehabt hatte, und das reichte mir.
»Bye, Victor«, hörte ich sie sagen.
Sie drückte den Anlasser, das Blech des Trucks begann sich zu schütteln. Victor blieb zurück, unbewegt, die Mütze nach hinten geschoben, die Arme verschränkt. Wächter einer vergessenen Tankstelle. Als wir aus der Einfahrt hinausrollten, spürte ich, wie das Gewicht des Aufliegers an den Verbindungen zum Führerhaus zerrte. Das Gefährt schwankte in den Federn und setzte mit einem harten Krachen auf, als wir durch die tiefe Bodenwelle fuhren, die das Gelände von der Straße trennte. Sumire schaltete hoch in den zweiten Gang.
»Daressalam«, sagte sie. »Dahin fahre ich. Nimm dir ’ne Cola.«
Ich wusste ja schon, wo die Getränke waren, angelte unter dem Sitz nach der Kiste. »Wie lange fahren wir bis dahin?«, fragte ich. Hatte kühn ein »wir« formuliert, ich konnte auf dieses »wir« nur hoffen.
Sumire warf mir einen Blick zu. »Drei Tage oder vier, je nachdem.«
»Du nimmst mich mit?«
Nun war es doch heraus. Ich musste ja immer alles genau wissen.
»Sieht so aus«, sagte Sumire.
»Ich kann dir was geben«, sagte ich. »Ich habe im ›Yang Tse‹ gearbeitet, ich habe ein bisschen Geld.«
Sumire wehrte mit dem rechten Arm die Geldscheine ab, die ich ihr anbot.
»Lass das«, sagte sie. »Du hast aber keinen Mist gebaut, oder?«
»Nein. Ich wollte nur wieder weg, sobald ich genug Geld hatte, um weiterzukommen.«
»Und wer ist hinter dir her?«
Ihr Profil, die vollen Lippen, wie aus feinem Ton modelliert. Ihre runde Stirn mit zwei umlaufenden Reihen Schmucknarben. Das kurze Haar, eine Kappe aus Wolle.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte ich.
»Wir haben Zeit«, sagte sie.
Ich erzählte Sumire den zweiten Teil meiner Geschichte, während wir in dem verbeulten blauen Lastwagen die Fahrt antraten, die uns bis zur afrikanischen Ostküste bringen sollte. Mit der Notlandung fing ich an, dann berichtete ich vom Marsch durch den Urwald mit Felicité. Ich erzählte, was man im Urwald zu essen findet, und vom Jodeln der Pygmäen, schließlich kam ich zu der Festnahme durch die apokalyptischen Reiter und zu meiner gelungenen Flucht, nachdem meine Gefährten mich aus dem Hubschrauber und zurück in den Ameisenschwarm hatten fallen lassen. Den Showdown mit dem Rastamann ließ ich weg. Sumire hörte mir die ganze Zeit zu, ohne einen Kommentar abzugeben.
»Kennst du diesen Duvalle?«, fragte ich, als ich mit meiner Geschichte fertig war. »Er wird auch Botoko genannt.«
Sumire dirigierte den Laster über eine Buckelpiste, die Linke am Lenkrad eingehakt. Wir schaukelten in den Spurrillen, es fühlte sich
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