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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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gut aus. Hier sagt man zu jemand, du bist ganz schön fett, wenn man ihm sagen möchte, dass er gut aussieht. Du solltest mehr Fett ansetzen, du bist zu dünn.«
    Ich meinte, ich könnte jetzt wieder ans Steuer, aber Sumire winkte ab.
    »Lass nur«, sagte sie. »Morgen sind wir am Meer. Wir sind fast da.«
    Als sie schließlich anhielt, irgendwo auf freiem Feld, umgab uns die Nacht.
    Ich war eingenickt gewesen und sah mich um. Die Fahrertür stand offen. Ich schaute hinaus, sah Sumire an den Wagen gelehnt rauchen, ihre Zigarette glühte auf. Ein Blitz erhellte die weite Savanne und die grandiose Wolkenkulisse darüber. Sumire drehte sich um, sah zu mir herauf. Ein Rumpeln rollte über das Land, verlor sich in der Ferne.
    »Wenn es regnet«, sagte Sumire, »bleiben wir hier. Zu gefährlich sonst, bei Nacht.«
    Als hätten die fürs Wetter Zuständigen ihr zugehört, blitzte es erneut. Sie kletterte in den Wagen. Der Donner rollte über uns hinweg. Die Finsternis schien auf einmal dichter zu werden, die Sterne waren wie ausgelöscht, und ein neues Geräusch kam hinzu, das zunehmend lauter wurde. Ich begriff nicht gleich, dass es der Regen war, der auf uns zukam wie eine Walze aus Wasser.
    »Mach dein Fenster zu«, sagte Sumire.
    Da prasselte es schon auf das Blech. Und wurde zu einem Dröhnen, als wäre es Hagel, der herunterkam, es war aber nur eine Unmasse Regen. Vor der Windschutzscheibe schäumte das Wasser, als hätte man Schleusen über uns geöffnet. Das Geräusch war so laut, dass man sich kaum verständigen konnte. Sumire, die mir etwas sagen wollte, brachte ihr Gesicht dicht an mein Ohr.
    »Dein Dingsda –«, rief sie.
    »Welches Dingsda?«
    »Das du dabeihast, dein Andenken.«
    »Was ist damit?«, schrie ich.
    Ein Blitz faltete die verschwommene Unterwasseraufnahme der Straße vor uns auseinander.
    »Das tut dir nicht gut.«
    »Warum?«, schrie ich zurück.
    »Ich weiß es. Diese Frau, mit der du zusammen warst«, rief sie in mein Ohr, »die hat es dir gegeben.«
    »Nein«, rief ich. »Hat sie nicht.«
    »Es tut dir aber nicht gut«, schrie Sumire in mein Ohr.
    »Warum?«, sagte ich noch einmal, wieder sehr laut.
    Irritierenderweise spürte ich in diesem Moment Sumires Hand auf meinem Schenkel.
    »Sonst würdest du auf ihn hören«, schrie sie.
    Ihre Hand, die einzige, über die sie verfügte, verdeutlichte mir jetzt unmissverständlich, wer mit dem gemeint war, auf den ich hören sollte.
    Ich verfiel in den Gedankenstau, der mich in Krisen heimsucht, obwohl ich die Situation nicht unbedingt als Krise empfand. Sollte ich mehr auf »ihn« hören? Vielleicht hatte ich das bisher zu wenig getan.
    Während ich diese und andere Fragen abwog, handelte Sumire, die das Ausbleiben meiner Antwort als Zustimmung wertete, und die physische Antwort war, an meinen Grübeleien vorbei, bereits eingetreten. Anscheinend hatte Sumire eine Vereinbarung mit »ihm« getroffen. Und »er« verhielt sich ihren Wünschen entsprechend. Sie knöpfte mein Hemd auf. Das machte sie geschickt, indem sie mir den Stoff mit dem Haken auf die Brust drückte und mit den Fingern der gesunden Hand flink die Knöpfe öffnete. Mein explizites Einverständnis wartete sie auch für diesen Schritt nicht ab.
    Sie sagte kein Wort. Sie tat es einfach mit mir.
    Ich erinnere mich an die feste Kontur ihrer Oberlippe, ein vogelförmiges, flaches »M«. An das kurze, drahtfeste Haar, unter dem ihr Kopf sich ganz rund anfühlte, so rund, wie ein Kopf nur sein kann. An ihre festen, ebenfalls sehr runden Pobacken und an den Haken, der in einem bestimmten Moment schmerzhaft an meinem Rücken entlangschrammte. Die Blitze, die zur Beleuchtung ab und zu geliefert wurden, zeigten mir, dass sie die Augen geschlossen hatte. Das tat ich schließlich auch, aber nicht deshalb, weil ich Sumire nicht anschauen wollte. Immer wieder donnerte es, der Lastwagen vibrierte unter den Schlägen. Das Gewitter erschöpfte sich zur gleichen Zeit wie wir beide.
    »Ich gehe schlafen«, sagte Sumire irgendwann.
    Sie kletterte nach oben, zu ihrem Marienbild und zu ihrer Matratze. Etwas, das sie herunterwarf, plumpste auf meinen Bauch.
    »Dein Dingsda«, hörte ich sie noch rufen.
    Ich blieb wach und horchte auf den Regen. Das Trommeln auf dem Blechdach wurde allmählich leiser. Etwa eine halbe Stunde später hörte ich draußen vor dem Wagen ein Geräusch, das ich nicht einordnen konnte. Ich richtete mich auf.
    Es klang wie ein Husten, ein tiefes, sehr tiefes Husten.
    »Sumire«, sagte

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