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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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Gesicht gesehen, für den Bruchteil einer Sekunde, das Gesicht des Waldschrats, und ich hatte gemeint, er habe seine Hand gehoben. Und wenn ich es genau nachprüfte, ganz genau, dann zeigte mir ein Engramm auf meiner Netzhaut mit der Schärfe der Angst, wie sich die schlaffen Lippen für ein »M« nach vorn gestülpt hatten: Mojo. Ich schaute auf meine Hände am Lenkrad. Meine Knöchel waren weiß, da war ich mir sicher; es war nur zu dunkel, um es zu erkennen.
    Sumire streckte ihren Kopf zwischen den Vorhängen heraus. »Was ist los, bist du eingepennt?«
    »Nichts«, sagte ich. »Da war bloß ein Tier.«
    »Halt an«, sagte sie. »Ich lös dich ab.«
    Im Morgengrauen hielten wir an, um zu frühstücken. Wir befanden uns nahe der tansanischen Grenze. Ich aß Erdnussriegel und eine Stange Cracker. Sumire ihr unvermeidliches Funje. Zu trinken gab es Cola und französisches Evian. Vor der Weiterfahrt versteckte ich mich wieder in der Schlafkoje. Diesmal lief die Abfertigung wie am Schnürchen, wir mussten kaum warten. Das Ziel schien sich bemerkbar zu machen, es zog uns an. Das Meer, Sansibar. Die Straße blieb asphaltiert, wir rollten weiter Richtung Küste.
    »San-san-san«, sang Sumire hinter dem Steuer. »San-, das steckt in Tansania drin. San-sibar. Das war ihnen so wichtig, dass sie es in den Namen aufgenommen haben. Tansania.«
    Sumire nickte mit dem Kopf, während sie das Armaturenbrett aufräumte, indem sie die leeren Crackerpackungen und die Evianflaschen aus dem offenen Fenster warf.
    »Daran siehst du, dass es die Araber sind, die hier was zu sagen haben. Sie sind Sklavenhändler. Ein paar hundert Jahre lang haben sie Sklaven aus halb Afrika geholt und sie in Sansibar verkauft. Damit sind sie reich geworden, lange bevor es das Öl gab. Das müssen sie jetzt nicht mehr tun«, schloss sie, blähte empört die Nasenlöcher und legte den Kopf nach hinten. »Wir machen die Sklavenarbeit inzwischen freiwillig und dazu noch bei uns zu Hause. Wir kratzen für sie das Zeug aus der Erde, und sie werden damit reich.«
    Sie knallte den Haken gegen das Kabinenblech.
    »Du wirst es nicht glauben, aber der Kongo ist ein sehr teures Land«, fuhr sie fort. »Wir kaufen Mineralwasser aus Frankreich, Kartoffeln aus der Türkei, Marmelade aus Vietnam, Saft aus Spanien, Äpfel aus Südafrika und Würstchen aus Algerien. Sandalen aus Brasilien, Kochtöpfe aus China, Dosenfleisch aus Argentinien, Milchpulver aus Holland und Haferflocken aus England. Verstehst du, was ich meine?«
    »Haben die Leute eine andere Wahl?«
    »Sie müssten Typen wie Mobutu oder Kabila rauswerfen«, sagte Sumire. »Sie schaffen es doch auch, sich gegenseitig totzuschlagen, oder? Dann könnten sie auch seine Clique umbringen.«
    »Das stelle ich mir nicht so einfach vor«, sagte ich.
    »Okay«, sagte Sumire. »Ist nicht so einfach.« Sie schnaubte.
    Wies auf einen Termitenbau, zwei Meter hoch, an dem wir gerade vorbeirollten.
    »Kennst du die?«, sagte sie.
    »Termiten«, sagte ich.
    »Ja, Ameisen.«
    »Das sind keine Ameisen«, widersprach ich.
    »Du willst Biologe sein und behauptest, dass da keine Ameisen drin wohnen.« Sumire zeigte mit dem Finger auf ihre Stirn. »Du hast in der Schule nicht aufgepasst, Bernd. Geh mal dorthin und schau nach. Alles voller Ameisen.«
    »Sie sehen vielleicht so aus«, wandte ich ein, »aber es sind nun mal keine Ameisen. Sie sind so was wie Heuschrecken oder Schaben. Sie haben mit Ameisen biologisch nichts zu tun.«
    Sumire schwieg. Kratzte sich vorsichtig mit dem Haken am Kopf.
    »Man kann sie essen«, sagte sie dann. »Die Affen essen sie, manche Leute essen sie auch. Ich nicht.«
    »Ich weiß schon, dass sie wie Ameisen aussehen, aber es sind wirklich keine. Trotzdem haben sie einen Staat, wie die Ameisen auch. Allerdings mit einem wichtigen Unterschied.«
    Ich hätte Sumire viel über Termiten erzählen können. Am liebsten in gepflegter Umgebung, nach einem mehrgängigen Abendessen in einer luxuriösen Lodge, im Schein von geschmackvoll aufgestellten Windlichtern.
    »Interessiert dich das überhaupt?«, wollte ich wissen.
    »Na ja«, sagte Sumire. »Erzähl mal. Ich glaube aber, dass es Ameisen sind.«
    »Sie haben nicht nur eine Königin wie die Ameisen, sondern einen König und eine Königin, die zusammenleben.«
    »Und wenn sie nicht gestorben sind«, sagte sie, »dann leben sie noch heute.«
    »Interessiert es dich jetzt oder nicht?«
    »Ja, ja.«
    »Eine Ameisenkönigin braucht nur einmal Sex zu haben, dann

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