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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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deutete aus dem Fenster. Wessing suchte die Lichtung mit dem Feldstecher ab. Die Gestalt war weg. Ich hatte sie aber noch auf meiner sensorischen Rinde. Wessing setzte das Glas wieder ab.
    »Ein Affe?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Das war ein Mensch. Ziemlich klein, alt. Ja, genau, eine alte Frau oder ein alter Mann.«
    Wessing schob das Fernglas zurück unter die Lenkradkonsole und ließ den Wagen weiterrollen.
    »Unwahrscheinlich. Hier lebt niemand, die nächste Siedlung ist fast vierzig Kilometer entfernt. Früher war hier irgendwo mal ein Dorf, ist aber einige Zeit her. Vielleicht doch ein Affe«, fügte er hinzu. »Die können einem ziemlich menschlich vorkommen, wirst du bald sehen.«
    Ich war sicher, dass die Gestalt ein Mensch gewesen war. Sogar an einen gewissen Ausdruck konnte ich mich erinnern, die Gestalt hatte uns beobachtet. Und, seltsam – ich hatte ein Gefühl des Wiedererkennens gehabt. Der Alte am Straßenrand in Libreville fiel mir ein, der das weiße Huhn auf dem Schoß gehabt hatte und die Muscheln auf dem Boden. Sieben waren es gewesen. Du spinnst ja, sagte ich mir. Dir ist einfach zu heiß.
    Der Wald hielt eine Art Dunkelheit für mich bereit, die ich bislang noch nicht erlebt hatte. Sie hatte nichts mit der schattigen Kühle der Wälder zu tun, in denen ich mich bisher ab und zu aufgehalten hatte. Im Großen und Ganzen waren das der Schwarzwald gewesen, der wirklich dunkel sein konnte, und der Grunewald, der mir nicht dunkel, aber auf eine andere Art immer finster vorgekommen war. Der Wald, den wir betraten, erschuf seine eigene Dämmerung, als besäße er die Fähigkeit, die äquatorialen Sonnenstrahlen, die auf sein Laubdach niedergingen, in sanftere Formen strahlender Energie umzuwandeln.
    Als ich auf meine Hände hinunterschaute, leuchteten sie auf einmal in einem kühlen Blau. Sie kamen mir vor, als hätte ich sie noch nie zuvor gesehen. Sie sahen so fremd aus wie zwei nackte Waldbewohner, die sich auf meine Rucksackriemen verirrt hatten. Leuchtende Flecken in allen Schattierungen von Grün wanderten über mein durchgeschwitztes Hemd. Wessings Buschhut schwankte vor mir hin und her, er war von einem warmen, über der Krempe spielenden Violett überhaucht. Weit über uns hingen gleißende Strahlenbündel, ein schwankendes Gerüst aus Licht. Etagen tiefer schienen Blätter, Lianen und die bemoosten Baumstämme mit ihren funkengeladenen Rändern unter Strom zu stehen, als wollten sie vor Energie platzen. Es herrschte Stille ringsum, eine Stille, die wir verursacht hatten. Meine Schritte erschienen mir viel zu laut. Immer wieder flatterte etwas vor uns davon, oder es raschelte im feucht glänzenden Blattgewirr, wo sich etwas bewegte. Aus der Ferne kam ein Klagen, das in regelmäßigem Abstand wiederkehrte und uns tiefer in den Wald hineinzuziehen schien, ein nie gehörter Ruf, sehnsüchtig, fremd.
    Wessing und ich marschierten zum Treffpunkt. Wir trugen das Gepäck, das wir aus dem Wagen ausgeladen hatten, einen Trampelpfad entlang. Irgendwo im Wald sollten wir auf Farouk und Fox treffen und ihnen dabei helfen, ein Übernachtungscamp aufzubauen. Ich trug zwei Stative, ein paar Kamerataschen und zwei elend schwere Kartons mit Wasserflaschen. Natürlich auch meinen Mückenschutz, die Malariatabletten, meinen kleinen privaten Notfallkit mit einem Skalpell und einer Zeckenpinzette darin, Sachen, über deren möglichen Einsatz ich nicht zu viel nachdenken wollte.
    Ich war froh, dass Wessing voranging. Wenn es raschelte, liefen Filmstreifen in meinem Kopf ab, zum Beispiel von einer Baumschlange, die wie eine Peitsche auf mich herunterschnellte, oder von einer tödlichen Grubenotter, in die sich der dürre Ast verwandelte, auf den ich eben getreten war. Ein paar Moskitos surrten über mir, aber sie ekelten sich bis jetzt noch vor dem Autan, das ich mir auf alle unbekleideten Körperstellen gerieben hatte. Am Seitenfach von Wessings Rucksack baumelte eine Machete, sie wirkte beruhigend. Aber wir brauchten sie nicht. Der Pfad war frei, man konnte hier ganz gemütlich entlanggehen. Dennoch, in meinem Blut pulsierte das Wissen, dass es hier keine Gitter für die wilden Tiere gab. Wir befanden uns unter ihnen, in ein paar hundert Quadratkilometern Urwald.
    Als wir im Camp eintrafen, standen dort schon zwei hübsche Behausungen, die Fox und Farouk errichtet hatten. Die Wände bestanden aus Stangen mit zusammengebundenen Spitzen, so war eine Art kleiner Jurte entstanden. Zwischen den Stangen befand

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