Gabun - Roman
nach vorn, ich folgte ihm. Und sah Vern Giuliani am Boden sitzen, gegen einen Baum gelehnt. Frau Dr. Decker kauerte neben ihm, fühlte ihm mit unergründlicher Miene den Puls. Giulianis Gesichtsfarbe war von einem intensiven Rosa. Kleine Schweißtröpfchen standen gleichmäßig verteilt auf seiner Haut. Er tupfte sie mit einem weißen Baumwolltaschentuch ab, das er aus seiner Expeditionshose gezogen hatte. Auf den Stoff, sah ich, war ein blaues Wappen eingestickt.
»Zu viele Brandys«, sagte Giuliani matt und grinste in die Runde.
Man stand um ihn herum, lachte aufmunternd, tauschte besorgte Blicke. Ich holte eine der Wasserflaschen aus dem Rucksack. Giuliani trank sie, von Fox genötigt, innerhalb von fünf Minuten, dadurch reduzierte er meine Traglast, wie ich rasch berechnete, um vier Pfund. Giulianis Gewicht schätzte ich, da ich gerade mit Rechnen befasst war, auf etwa hundertvierzig Kilo. Damit wog er so viel wie ein ausgewachsener Gorilla. Leider war Giuliani nicht so urwalderprobt wie ein Affe. Bloß sein Lachen, das man oft zu hören bekam, wenn auch nicht gerade jetzt, hätte einem Gorilla Ehre gemacht.
Wir lagerten uns um ihn. Frau Dr. Decker fühlte in kurzen Abständen seinen Puls, Oda Giulianis flehendem Blick begegnete sie mit der Miene einer Sphinx, und ich fragte mich unwillkürlich, wie viele arme Teufel sie schon in den Tod begleitet haben mochte. Fox schlug vor, wir sollten uns jetzt alle ein wenig ausruhen, mit dem Klima sei nicht zu spaßen. Er erlaubte jedem zur Aufmunterung den Genuss eines Energieriegels; das Papier, warnte er, solle man gleich in die Hosentasche stecken, man wolle schließlich keine Spuren hinterlassen. Weiter ließ er uns wissen, den anstrengendsten Teil des Weges hätten wir bereits hinter uns. Bald beginne ein Stück Grasland. An dem Fluss dort wanderten mit größter Wahrscheinlichkeit die Gorillas entlang. Mit etwas Glück könnten wir außerdem Waldelefanten antreffen, die kämen auch immer mal wieder dorthin.
Fox zeigte uns, während er sprach, durchgehend sein Lächeln, die ermutigende Variante natürlich. Ab und zu blieb sein Blick an Giuliani hängen, neben dem jetzt seine Frau saß, beide mit dem Rücken gegen den Baum gelehnt, sie hielt seine Hand. Sie bemühten sich, ebenfalls zuversichtlich auszusehen. Abschied, dachte ich, eine lange Ehe, ein bewegtes Leben. Alles geht einmal zu Ende. Der alten Ärztin, die dabeihockte, verpasste ich probeweise ein Paar schwarze Flügel, so zwischen Todesengel und Geier, diese Mischung kam hin. Ich hoffte, dass Giuliani keinen Herzinfarkt hatte, und versuchte, mich von dieser Vorstellung und ihren Konsequenzen für das Unternehmen abzulenken. Damit mir das leichter fiel, lehnte ich mich mitsamt meinem Rucksack gegen einen Baustamm, schloss die Augen und stellte mir die Giulianis in Cape Coral vor, wo sie zu Hause waren.
Obwohl ich noch nie in Florida gewesen war, gelang es mir mühelos, sie auf der Terrasse einer weißen Villa sitzen zu sehen, mit Blick hinaus auf die Keys, die draußen im blauem Meer am Horizont gerade noch zu erkennen waren, sie saßen in zwei Liegestühlen auf einer Terrasse und hielten sich an den Händen, sie sahen zuversichtlich aus. Das Wasser in dem weißen Pool vor ihnen war ein Block aus flüssigem Glas, ein legal angemeldeter mexikanischer Bademeister ging langsam und dekorativ daran entlang, und ich sah, wie Giuliani in seinem Liegestuhl lachend nach seinem dritten Gimlet griff.
Da spürte ich Fox’ Hand auf meiner Schulter und verlor mein inneres Bild. Inzwischen zuckte ich auch nicht mehr zusammen, wenigstens nicht äußerlich. Ich öffnete die Augen.
»Weißt du, was das Besondere an Afrika ist?«, fragte mich Fox, der neben mir stand, im Vortragston.
Ich wusste es nicht und schaute ihn fragend an, auch die anderen wandten ihm ihre Gesichter zu. Verschwitzt, dennoch immer motiviert, Neues zu lernen.
»Im Pleistozän«, Fox sah in die Runde, »das vor fast zwei Millionen Jahren begann und vor zehntausend Jahren zu Ende ging, starben fast überall auf der Erde die Großtiere aus. Die Mammuts, die Mastodonten, die großen flugunfähigen Vögel. Bloß der Moa hat überlebt, aber nicht für lange. Auch die Riesenfaultiere, die Riesenbiber, die Säbelzahnkatzen sind ausgestorben. Man weiß nicht, wodurch sie umgekommen sind, einen Teil von ihnen haben jedenfalls schon die ersten Menschen auf dem Gewissen. Im präkolumbianischen Amerika zum Beispiel verschwand das Riesenfaultier
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