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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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hätten uns heute gezeigt, dass sie sich nicht an Vereinbarungen hielten. Ein bisschen enttäuschend vielleicht, aber so sei sie nun einmal, die Wildnis, unberechenbar. Und der Wildnis wegen sei man schließlich hierhergekommen. Morgen werde man einen zweiten Versuch machen, er wünsche uns dafür Glück und für heute gute Nacht. Für die »Facilities«, so drückte er sich aus, habe man einen eigenen kleinen Verschlag errichtet. Eine gemütliche Urwaldtoilette, sie liege, nicht zu verfehlen, ein Stück entfernt im Wald, in der Verlängerung der vier Hütten. Fox deutete mit dem Strahl seiner Taschenlampe nach links, dort leuchtete dreißig Schritt entfernt im Finstern ein Moskitonetz auf. Jeder solle sich vergewissern, ehe er seine Hütte betrete, dass eine eigene Lampe vorhanden sei und dass sie funktioniere. Es seien Dynamos darin, keine Batterien. Man müsse sie aufladen, ein paarmal mit der Hand pumpen reiche schon.
    In meiner zweiten Nacht an Farouks Seite störte mich das nächtliche Urwaldkonzert schon weniger. Ich hätte auch das Rascheln einer Waldratte gut ertragen, wenn eine gekommen wäre, es kam aber keine. Schwerer zu ertragen war Farouks Schnarchen.
    Ich stupste ihn ein paarmal an. Nachdem Farouk sich mit protestierendem Grunzen auf die andere Seite gedreht hatte, dauerte es keine fünf Minuten, dann fing er wieder an. Zu viel Bordeaux. Ich lag auf der Matratze aus Zweigen, starrte ins Dunkel und hörte zu, wie Farouks Gaumensegel in gleichmäßigem Abstand von der eintretenden Luft zum Vibrieren gebracht wurde. Jeder Atemzug ein Ringen nach lebensspendendem Sauerstoff. Atmung. Der Trick, mit dem ein paar gewiefte Pflanzenzellen einst ihre Konkurrenz überrundet hatten, ein Trick, der die Voraussetzung wurde für flinkes, adaptives Leben, das herumhuschen konnte und wenig später die braven Primärproduzenten auffraß, die konservativ bei der Fotosynthese geblieben waren. Atmung hieß Turbostoffwechsel, effiziente Verbrennung. Auch in Farouks reglosem bronzefarbenem Athletenkörper wurde gerade Sauerstoff verbrannt, den er mühsam hereinschnarchte, automatisch, unbemerkt von seinem Bewusstsein, das im Traum spazieren ging. Sein Atemzentrum arbeitete zuverlässig ohne ihn, es brauchte ihn gar nicht. Hielt den Atemrhythmus in Gang, ließ Kohlensäuregas ausströmen als Substrat für die umliegenden Urwaldpflanzen, die daraus wieder neue Strukturen errichteten, um gefressen zu werden oder um zu vermodern.
    Es half nicht, langweiliges Zeug zu denken, ich wurde davon nicht schläfrig. Denken kann ich stundenlang. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Zudem spürte ich inzwischen ein menschliches Bedürfnis, das sich nicht auf den kommenden Tag verschieben ließ. Ich tastete nach meiner Lampe, die ich neben der Matratze deponiert hatte, knipste sie an und leuchtete den Boden ab, ehe ich meine Füße daraufsetzte. Die mir bereits vertrauten Ameisen einer unbekannten Art waren wieder da, sie verbargen sich vor dem Licht flink unter den verfaulten Blättern. Ich leuchtete in meine Stiefel hinein, schüttelte sie vorsichtshalber aus, kroch nach draußen.
    Dort umfing mich das Fiepen, das an- und abschwellende Keckern des nächtlichen Waldes, dazu absolute, gestaltlose Dunkelheit, das Blätterdach ließ kein kosmisches Licht hindurchdringen. Umso mehr versetzte mir ein Leuchtkäfer einen Schreck, als er einen Meter über meinem Kopf vorbeisauste wie eine zu tief fliegende Sternschnuppe. Unter meinen Pumpbewegungen schnitt die Taschenlampe ein Tortenstück Realität aus der Finsternis heraus: Baumstämme, Blätter, eine Hütte, die Sitzbänke. Ich ließ den Lichtstrahl umherwandern, gewärtig, irgendwo das berühmte Paar Augen aufleuchten zu sehen; es war nicht vorhanden.
    Schwerer als erwartet war das Örtchen zu finden. Schließlich erinnerte ich mich an Fox’ Beschreibung und stapfte in die angegebene Richtung, sorgfältig den Boden ableuchtend, auf den ich meine Füße setzte. Sah schließlich eine Reihe Pfosten vor mir, darüber ein Blätterdach. Das Waldklo. Aber kein Moskitonetz daran, komisch, es war vorhin doch noch da gewesen. Ich bückte mich unter das Dach und ließ den Strahl meiner Lampe durch den Innenraum wandern.
    Der Lichtstrahl blieb an etwas hängen. Da war jemand. Besetzt. Ein Schimpanse. Nein, ein Mensch. Das uralte Gesicht einer Mumie starrte mich an, ein zusammengeknetetes Bündel aus welkem Fleisch mit zwei wulstigen Augenschlitzen, in rissigen Ton gedrückte Nasenlöcher, zerfetzte

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