Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
Vom Netzwerk:
Ohrläppchen. Meine Lampe zitterte. Die ausgedörrten Lippen der Erscheinung bewegten sich, gaben ein paar Zahnstummel auf bläulichen Gaumenspangen frei. Das Geschöpf grinste mich an. Aus seiner Kehle drang ein grunzendes Geräusch.
    Hinter meiner zitternden Lampe hervor hätte ich gern mit einem schüchternen »Hallo« geantwortet. Ich war aber nicht dazu fähig, ich stöhnte bloß. Das Wesen reagierte nicht. Es war in eine Art Vorhang eingewickelt, ich erkannte – mein Verstand arbeitete noch mit Notlaufeigenschaften – das Moskitonetz, das am Eingang gefehlt hatte. Mit der gleichen verzögerten Geschwindigkeit machte mein Bewusstsein mir klar, dass es unhöflich war, dem Wesen weiter ins Gesicht zu leuchten, das sich mir durch ein Lächeln – es war zweifellos ein Lächeln gewesen – als Mensch zu erkennen gegeben hatte. Ich ließ die Lampe sinken.
    Das Licht glitt an der Gestalt hinunter, und ich sah auf der nackten Brust des Waldmenschen zwischen den lehmfarbenen Brustwarzen eine faustgroße Scheußlichkeit hängen, einen Schrumpfkopf oder einen halb verwesten Tierschädel mit geblecktem Gebiss und toten Augenhöhlen, durch die sich die Umhängeschnur hindurchfädelte. Ein unvergesslicher Gestank erreichte meine Nase, der Gestank ging von dem Ding aus. Ein Geruch nach absoluter Endgültigkeit, nach Tod und Verwesung. Der abgesunkene Lichtstrahl blieb auf den Füßen des Geschöpfs stehen. Sie bestanden aus Schlamm, oder sie waren von einer Haut überzogen, die sich von Schlamm in nichts unterschied.
    Adrenalin pumpte durch mein Gefäßsystem, mein Vegetativum war zu neunzig Prozent auf Totstellen geschaltet. Das Waldwesen, unbeleuchtet jetzt, reagierte auf die veränderte Interaktionslage mit einem hysterischen Kichern, gefolgt von kehligen, überaus prononciert ausgesprochenen Worten, die mir vorkamen wie ein dringlich an mich gerichtetes Ansinnen, es verdichtete sich in einem geheimnisvollen Wort, das einige Male wiederholt wurde. Zwei-, dreimal sprach der Waldmensch das magische Wort. Es hörte sich an wie: »Sigah!«
    Ich schüttelte den Kopf. Zwecklos in der totalen Finsternis, aber mehr brachten meine zehn Prozent verbliebenes Leben nicht zustande. Ich besaß nichts, was Sigah hieß. Wusste nicht, was Sigah war, und konnte es mir auch nicht vorstellen. Mit überhaupt nichts konnte ich dienen.
    Die verkrusteten Füße verschwanden aus dem Lichtkreis der Lampe, das Gespenst schlurfte hinaus. Erst als es draußen still geworden war, wagte ich, hinter ihm herzuleuchten. Das Klo war leer. Der Waldgeist hatte mir Platz gemacht.

VIER
    »Du hättest ihn ruhig mit herbringen können.«
    Farouk starrte mich an, mit verschwollenen Augen, das konnte man auch im Streulicht seiner Stirnlampe erkennen. Er setzte sich auf.
    »Wer weiß, was der vorhat. Unser Moskitonetz hat er jedenfalls geklaut, so viel kann ich deinem Gestammel entnehmen.«
    Farouks Atem roch nach Knoblauch und halb verstoffwechseltem Alkohol. Ich rückte ein Stück von ihm ab.
    »Er sah furchtbar aus«, sagte ich. »Wie ein Gespenst.«
    »Alte Leute hier sind wirklich alt. Die sehen nicht so gepflegt aus wie bei euch in Europa, Mann.«
    »Was heißt Sigah? Was wollte er mir damit sagen?«
    »Er wollte was zu rauchen.«
    Farouk knipste seine Stirnlampe aus und warf sich mit einem Krachen auf sein Blätterlager, drehte sich auf die andere Seite und rupfte seinen Schlafsack zurecht.
    »Leg dich schlafen«, brummte er. »Wir sehen morgen mal nach ihm. Wahrscheinlich ist er längst über alle Berge.«
    Ich legte mich wieder hin. Wartete auf das Wiedereinsetzen von Farouks Schnarchen und wurde nicht enttäuscht. Ich versuchte, aus einer Grübelschleife zu entrinnen, in der ich mich fragte, was in aller Welt mich dazu gebracht haben mochte hierherzukommen. Ich war zu Hause immer zurechtgekommen. Ich konnte einen Computer bedienen, Seminarscheine machen, Geld aus dem Automaten ziehen. Sogar einfache Gerichte konnte ich kochen.
    Lea. Sie hatte meine Unbeholfenheit charmant gefunden, zumindest am Anfang. Tüchtig, wie sie war, fand sie mich drollig. Ein weltfremder Typ, ein zukünftiger Wissenschaftler, zerstreut, aber nett. Ein lebender Teddybär. Hier im Wald gab es keinen Platz für Teddybären. Wer sich dumm anstellte, wurde gefressen. Daran änderte die Tatsache nichts, dass ich schon zu glauben begann, bei der Begegnung im Waldklo habe es sich um eine Halluzination gehandelt. Aber ehe ich einschlief, erinnerte ich mich an die Gestalt in Libreville

Weitere Kostenlose Bücher