Gabun - Roman
Bernd«, brummte er. »Zieh deine Jacke schon mal aus, zum Wedeln.«
Das andere Boot steckte fest in der Laubkrone des umgestürzten Baumes, die Äste wackelten heftig, aber das Boot kam nicht frei. Wilde Paddelschläge ließen das Wasser aufspritzen.
Dann schoss der Kanadier auf einmal aus der Baumkrone heraus, eine Staffel Insekten schwenkte mit wie das Wölkchen über einem Dampfer, die Hornissen. Wahrscheinlich waren es ja Bienen, aber entomologische Präzision war hier nicht angebracht, denn Fox’ Kanadier sauste, von Vern Giulianis wuchtigen Paddelschlägen angetrieben, unter dem schrillen Heulen Oda Giulianis, die ihren Hut verloren hatte und den Kopf mit den Händen beschirmte, auf das offene Wasser hinaus. Was die falsche Richtung war, auch Fox hatte das erkannt.
»Umkehren!«, brüllte er. »Halt! Zurück!« Auf Deutsch.
Es half nichts. Vern Giulianis von Panik erfüllte hundertvierzig Kilo waren nicht so leicht zu stoppen. Er paddelte auf die Flusspferdherde zu. Vielleicht noch fünfzig Meter bis zum ersten der grauen Köpfe. Die falsche Richtung.
Das sah auch der Flusspferdbulle so. Man hörte ein Geräusch, als würde an einer Baustelle der Kompressor abgeblasen. Die Köpfe der Nilpferde verschwanden. Das Wasser geriet in Bewegung wie von einem lokalen Erdbeben.
De Vries drehte sich zu uns um. Er machte eine Handbewegung.
»Gustav, beeil dich. Der Bulle.«
Wessing schnaufte. Nicht ganz wie ein Nilpferd, aber mit einer gewissen Entschlossenheit. Dann paddelte er los, nicht rückwärts, womit ich mit meinem natürlichen Reflex für das Überleben gerechnet hatte, nein, er paddelte vorwärts. De Vries beugte sich nach hinten, stützte sich mit der Hand auf meiner Sitzbank ab und langte an mir vorbei nach seinem Gewehr. Er sah mich mit seinen hellgrauen Augen einen kurzen Moment lang sehr genau an.
»Bleiben Sie mir im Boot, Herr Jesper. Und paddeln Sie tüchtig mit.«
Wessing war schon um den gestürzten Baum gekurvt und trieb mit kräftigen Paddelschlägen das Kanu an dem anderen Boot vorbei, das sich inzwischen im Kreis drehte. Die Giulianis schlugen auf die Bienen ein, die sie umschwirrten, Vern Giuliani zweckentfremdete sogar sein Paddel dafür. Fox versuchte, das Boot vor dem Umkippen zu bewahren, er rief den Giulianis zu, sie sollten sitzen bleiben, noch immer auf Deutsch. Als wir vorbeischossen, schaute er zu uns herüber mit einem Gesicht wie jemand, dem der letzte Zug davonfährt.
Das Wasser um uns herum kochte. Direkt vor uns, sehr nahe, brach etwas durch die Oberfläche, was ich noch nie gesehen hatte. Nessie, der Fluch der Karibik, das Monster vom Amazonas. Ein langer Schädel mit vernarbter, uralter Haut und riesigen Nüstern. Der Flusspferdbulle, entschlossen dazu, uns den Garaus zu machen. Ich hörte es zweimal klicken. Sah De Vries das Gewehr hochheben und dachte nichts anderes als: Schieß! Schieß endlich, um Himmels willen!, während ich zwei weitere Sekunden lang das Haupt des Flusspferdbullen auf uns zurauschen sah, seine wütenden Augen, die nach hinten geklappten Ohren und das enorme Kielwasser dahinter.
Sieben, acht Meter noch. Ein ohrenzerfetzendes Krachen. Das ganze Kanu taumelte unter dem Rückstoß. De Vries nahm das Gewehr herunter, beugte sich halb über Bord, als wollte er dem Vieh die Waffe in die Nüstern stoßen, und es krachte noch einmal, als falle der Himmel endgültig auf uns herunter.
Fast im selben Moment machte das Kanu einen Schwenk um neunzig Grad nach rechts, ich schloss die Augen und klammerte mich an der Sitzbank fest, weil ich glaubte, dass der Bulle uns erwischt hätte. Es war aber Wessing, der bis zum zweiten Schuss gewartet hatte, ehe er auswich. Kaltblütig.
Ich war es nicht in diesem Augenblick. Als ich nicht starb, etwa fünf Sekunden später, riss ich die Augen wieder auf und hörte De Vries lachen. Er klopfte mir auf die Schulter. Ein Paddel wurde mir in die Hand gedrückt. Wessings faltiges Gesicht tauchte neben mir auf, auch er grinste, es war wie in einer Geisterbahn.
»Alles vorbei, Bernd«, sagte er. »Jetzt kümmern wir uns um die anderen. Mach mit.«
Und – ich war ihm dankbar dafür, er zwinkerte mir zu.
Über dem Wasser waberte stechender Pulvergeruch, in meinen Ohren pfiff das Knalltrauma. Während ich mit bebenden Händen mein Paddel eintauchte, klappte De Vries das Gewehr auf und zog zwei Patronenhülsen heraus, aus denen es noch rauchte. Er steckte die leeren Hülsen in die Hosentasche, schlug den Jackenaufschlag zurück
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