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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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Felicité unternahm nichts. Sie weinte nur leise vor sich hin.
    De Vries hielt sich das Handy ans Ohr. Nachdem er eine Weile daran gehorcht hatte, schüttelte er den Kopf.
    »Wir müssten doch bald am Fluss sein, Gustav.«
    »Ich weiß«, brummte Wessing. »Wir sind auch höchstens eine Meile vom Kurs ab. Vorhin hatte ich nicht so den Überblick.«
    Er grinste De Vries an, der erwiderte sein Lächeln und klopfte ihm auf die Schulter.
    »Wir können immer noch zur Not nach Osten fliegen, bis wir auf den Kongo treffen«, sagte Wessing. »Dann orientieren wir uns am linken Ufer aufwärts bis zur Kasai-Mündung.«
    De Vries nickte. Dann drehte er sich zu uns um, ich sage »uns«, denn sein Blick erfasste zuerst Felicité, dann mich. Er wandte sich uns zu, dem jungen Paar auf der Rückbank. Zu meiner Überraschung reagierte Felicité darauf.
    »Sie haben mir wehgetan«, sagte sie.
    Ihre Stimme war dünn, man konnte die Worte in dem Lärm kaum verstehen. Sie klang wie ein Kind, das sich beklagen möchte. Ich hatte mich schon wieder in ihr getäuscht.
    »Zeigen Sie mal«, sagte De Vries.
    Sie überließ ihm ihren rechten Arm. De Vries tastete ihren Unterarm ab, sein eigener Arm war blutverschmiert. Felicités Kraft schien gebrochen. Alle Wut abgeschaltet. Er hatte ihr wehgetan. Ich glaubte es nicht. De Vries drückte vorsichtig auf ein paar Stellen an ihrem Handgelenk.
    »Nichts Ernstes«, urteilte er. »Nur verstaucht.« Er ließ ihren Arm los. »Tut mir leid. Aber ich sah keinen anderen Weg, Sie an Ihrem Vorhaben zu hindern. Sie hätten uns alle umbringen können.« Er warf mir einen Blick zu. »Kümmern Sie sich ein bisschen um sie, Herr Jesper. Vielleicht gibt es hier einen Verbandskasten mit einer Salbe drin.«
    Einen Verbandskasten mit einer Salbe. Ich fühlte mich meilenweit von Felicité entfernt, ich schämte mich, wusste nicht einmal, wofür, kannte mich bei ihr überhaupt nicht mehr aus, und nun sollte ich mich um sie kümmern.
    »Such mal unter den Sitzen, Bernd«, ließ Wessing sich vernehmen. »Vielleicht ist da auch ein ordentlicher Verband drin für Herrn De Vries.«
    Das Flugzeug röhrte durch die Nacht wie von einer Schnur gezogen, als könne an unserer Bestimmung kein Zweifel bestehen. Ab und zu hob uns eine gleichgültige Hand in die Höhe, dann sackten wir ein Stück herunter. Ich tastete die Unterseite der Sitzbänke ab, um den Verbandskasten zu finden. Felicité hatte mittlerweile aufgehört zu schluchzen, sie hatte die Hände vors Gesicht gelegt. Nachdem ich eine Weile im Dunkeln herumgesucht hatte, fand ich den Kasten, er war mit Klettband unter Wessings Sitz befestigt. Mit der Taschenlampe durchsuchte ich den Inhalt, fand ein Päckchen Mull, mit dem ich De Vries’ Arm verband, aber keine Salbe für Felicité. De Vries knüpfte ein Dreieckstuch zusammen und gab es mir. Felicité solle ihren Arm hineinlegen, meinte er. Sie reagierte nicht. Ich behielt das Dreiecktuch auf dem Schoß für den Fall, dass sie es später anlegen wollte. Immer beflissen, dachte ich. Vielleicht merkte sie ja irgendwann, dass ich auch hier war.
    »Da!«, sagte Wessing.
    Er wies mit dem Zeigefinger zum Fenster. Ich sah hinaus. Die Baumkronen wichen unter uns zurück, und wir flogen auf eine Wasserfläche hinaus, die schwarz war wie die Nacht, bedeckt mit Feldern silberner Knitterfalten. Ein paar lang gestreckte Inseln lagen in Ufernähe, danach kam freie Wasserfläche.
    »Der Kongo?«, fragte ich wie ein Schuljunge.
    »Das ist er«, sagte Wessing vergnügt.
    De Vries hatte das Handy wieder am Ohr, schüttelte den Kopf. Schaltete es dann ab.
    »Ich kriege keinen Kontakt«, sagte er.
    Wessing klopfte mit dem Zigarettenpäckchen gegen das Steuerrad, führte es zum Mund und zog mit den Lippen eine Zigarette heraus.
    »In ein paar Stunden kann viel passieren«, sagte er.
    Sein Feuerzeug klickte, die Flamme beleuchtete das borstige Schnurrbärtchen und die Falten um seinen Mund.
    Wir flogen eine Linkskurve und blieben so über der dunklen Fläche des Kongo. Rechts drüben, weit entfernt am anderen Ufer, glänzte eine Linie aus Lichtern. Mir fiel ein, dass der Fluss die Landesgrenze war, die Grenze zu einem Staat, den zu besuchen ich nie vorgehabt hatte.
    »Ist es nicht gefährlich«, hörte ich mich fragen, »wenn wir da einfach so rüberfliegen?«
    »Nee«, sagte Wessing. »Bevor da unten jemand aufwacht, sind wir drüber weg. Hier macht sich nachts keiner Gedanken über einen einzelnen Flieger.«
    Nach ein paar Minuten querten

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