Gaelen Foley - Amantea - 01
Schnitt hatte er sich ein- mal mit einer scharfen Scherbe eines zerbrochenen Tellers an jenem schrecklichen Ort zugefügt.
Es verging einige Zeit, und Lazar begann zu hoffen, dass sich Allegra doch nicht von ihm abwenden würde.
Langsam und zärtlich strich sie ihm über das Handge- lenk, als ob die Narbe nur Staub wäre, den man wegwi- schen konnte. Doch es war in Wahrheit ein Zeichen, das seine Seele gebrandmarkt hatte.
Am liebsten hätte er Allegra gesagt, dass auch er einmal jung und voller Hoffnungen gewesen war. Gewiss, er hatte harte Lektionen gelernt, die er während seines Lebens erfolgreich angewandt hatte. Aber dieselben Lektionen hatten auch seine Seele verkrüppelt.
Würde sie doch nur etwas sagen!
Sie hielt den Kopf noch immer gesenkt, als die erste Träne auf sein Handgelenk fiel. Beide blickten darauf, und Allegra begann, sie in seine Haut einzureihen, als wäre es eine wertvolle Salbe, die den uralten Schmerz lindern könnte. Sie berührte auch sein linkes Handgelenk auf die- selbe Weise, um ihn schließlich schweigend in die Arme zu nehmen.
Sie hielt ihn eng an sich gedrückt – still und beruhigend. Es kam ihm so vor, als befände er sich auf einer grünen Insel mitten im wild tosenden Meer.
Für lange Zeit rührte sich keiner von ihnen. Lazar schloss die Augen und war überrascht, als er deren Brennen bemerkte. Er schluckte und streichelte Allegras Rücken.
Lazar zitterte und merkte, dass sie ihn deshalb noch fester an sich drückte.
Sanft flüsterte sie ihm zu: „Was hat man mit dir gemacht, mein Liebling?“
Lazar vermochte nicht zu antworten. Wieder schüttelte es ihn, und er barg sein Gesicht an ihrem Hals. Als er ih- ren blumigen Duft einatmete, spürte er, dass dieser eine wahrhaft heilende und rauschhafte Wirkung auf ihn hatte – ganz anders als das Opium, unter dessen Einfluss er sich die nun verheilten Verletzungen zugezogen hatte.
Sie liebkoste Hinterkopf, Schultern und Rücken. Der stechende Schmerz in seinem Kopf ließ nach. Ja, Allegras Zärtlichkeiten waren stärker als seine Qual.
Das verblüffte Lazar zutiefst. Er klammerte sich an Al- legra – an seine wundervolle Göttin, deren Haut elfenbein- farben war und die den Geist Amanteas zu verkörpern schien.
„Was hat dich dazu gebracht, dir so wehzutun?“
„Ich sollte tot sein“, flüsterte er mit brüchiger Stimme. „Wenn ich mutig wäre, würde ich schon lange tot sein. Ich bin wie ein Tier – bloßer Überlebenswille trieb mich. Stolz besitze ich nicht. Ich überließ sie ihrem Schicksal. Auch ich hätte sterben sollen.“
„Nein, Lazar, nein.“ Sie weinte nun leise, wie sie das in den ersten Nächten im Bett getan hatte, aus Trauer um ihren Vater. Nun galt ihm ihre Trauer, und irgendwie half er ihr damit.
Sie küsste die Träne fort, die ihm die Wange hinablief. Mit leicht geöffneten Lippen schmeckte sie das Salz. La- zar litt zu stark, um sich für sein unmännliches Verhal- ten zu schämen. Allegra zog ihn noch enger an sich. Am liebsten hätte er sich in ihr verkrochen und vor der Welt versteckt.
Nach einer Weile löste sie sich von ihm und legte zärt- lich ihre Stirn an die seine. Er hielt die Augen weiterhin geschlossen, da er sich davor fürchtete, ihrem Blick nicht standhalten zu können. Mit einer Hand streichelte sie seine Brust, während sie ihm den anderen Arm um den Hals gelegt hatte.
„Ich wusste es. Oh, ich ahnte vom ersten Moment an, wer du bist. Aber ich wagte nicht, es zu glauben.“
„Das hatte ich auch gar nicht erwartet.“
„Lazar di Fiore, ich werde dich nie mehr verleugnen“, schwor sie ihm leidenschaftlich.
Er seufzte auf und öffnete die Augen. Darin spiegelte sich wilde Entschlossenheit wider und etwas anderes – Liebe oder nur Mitleid. Ihr Mitleid wollte Lazar nicht, und deshalb wandte er den Blick ab.
Zärtlich umfasste sie sein Gesicht und brachte ihn so dazu, sie wieder anzusehen.
Während er sie forschend betrachtete, schaute Allegra ihn nachdenklich an. Sanft zeichnete sie mit ihrer Fin- gerspitze die Linie seiner Augenbraue nach und berührte seine Lippen mit dem Daumen.
Lazar saß mit düsterer Miene da und harrte ihres Ur- teils. Ihre Mundwinkel zogen sich ein wenig nach unten, und dann nahm sie einen Ausdruck an, der an den einer besorgten Mutter erinnerte.
Was für eine ausgezeichnete Mutter sie doch wäre, dachte er.
Unsinn. Doch er hätte es herrlich gefunden, würde sie sein Kind in sich tragen. Leben. Schöpfung. Das waren die Wunder, an die sie
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