Gaelen Foley - Amantea - 02
Anatols Gemach. Wie betäubt ging sie den Korridor entlang und starrte geradeaus.
Sie wusste kaum, wo sie war. Die Menschen, an denen sie vorbeikam, grüßten sie, doch sie vermochte nichts zu erwidern.
Er hat mich geschlagen. Sie konnte es kaum glauben. Am Ende des Hauptgangs blieb sie stehen und wusste nicht, wohin sie sich nun wenden sollte.
Benommen ging sie in den nächsten leeren Salon. Sie schloss die Tür hinter sich und trat zu einem Stuhl. Noch be- vor sie sich darauf setzen konnte, brach sie davor zusammen. Nach einer Weile begann sie leise zu schluchzen, so wie sie es seit ihrer Kindheit nicht mehr getan hatte.
Nach einer Weile wurde die Tür geöffnet. Ein halbes Dutzend junger Höflinge und der Kronprinz kamen herein.
Julia zuckte zusammen und wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken.
„Beim Jupiter, sieh an, wer hier ist!“
„Wir haben einen geheimen Schatz gefunden.“
„La Divina Julia!“
„Was tun Sie hier allein im Dunkeln, meine Liebe?“
Sie wandte sich ab und verbarg ihr Gesicht. „Geht weg“, sagte sie schwach.
„Julia?“ Sie erkannte Prinz Rafaels Stimme.
„Lasst mich allein.“ Sie spürte, wie der Prinz neugierig auf sie herabsah.
„Verschwindet“, sagte er plötzlich zu seinen Begleitern.
Sogleich folgten die üblichen anzüglichen Bemerkungen und Gelächter.
„Hinaus mit euch!“ befahl Rafael kurz angebunden.
Wenige Augenblicke später war seine Gefolgschaft ver- schwunden.
Julia hörte, wie die Tür geschlossen wurde, und fühlte sich ein wenig erleichtert. Doch der Prinz war noch immer an- wesend und bedrängte sie in dieser beschämenden Situation. Als er sich neben sie hockte, weigerte sie sich, ihn anzusehen.
„Was ist los?“ fragte er ruhig.
„Nichts.“
„Sagen Sie es mir.“
„Nichts.“
„Julia, schauen Sie mich an. Ich möchte Ihnen helfen.“
Natürlich, dachte sie bitter.
Der junge Kronprinz berührte ihr Gesicht. Obgleich es nicht die Seite war, auf der sie die Ohrfeige bekommen hatte, zuckte sie doch zusammen.
Rafael fluchte.
„Julia, schauen Sie mich an.“
Sie schluckte und hob den Kopf.
„Wer hat Ihnen das angetan?“ flüsterte er zornig. In seinen Augen spiegelte sich Empörung, als er erneut behutsam ihr Gesicht berührte.
Sie zuckte zusammen und rückte von ihm ab. „Niemand. Ich habe mich gestoßen.“
„Wer, Julia? Ich verlange, es zu wissen.“
Ihre Stimme klang bitter. „Was wollt Ihr tun?“
„Ihn umbringen“, erwiderte er.
Julia schüttelte den Kopf und begann zu lachen, während ihr Tränen in die Augen stiegen. „Es ist gegen das Gesetz, sich zu duellieren, Hoheit.“
„Nennen Sie mir seinen Namen.“
„Was wollt Ihr tun? Mich beschützen?“ fragte sie missmutig. „Meine Ehre verteidigen?“
„Ja.“
Einen Moment lang sah er sie nachdenklich an. Vielleicht war er doch mutiger, als sie bisher angenommen hatte.
Prinz Rafael Giancarlo Ettore di Fiore hatte braunes Haar, das von hellen Strähnen durchzogen war. Seine k laren grü- nen Augen blickten nachdenklich und sanft. Er hatte ei - nen geschmeidigen, athletischen Körper, der durch die vielen Stunden im Freien sonnengebräunt war. Allgemein war er als Hitzkopf bekannt, wurde jedoch von allen mit Nachsicht be - handelt. Rafael war der Liebling des Königreichs, der Schatz seiner Mutter und der Stolz seines Vaters.
Seine Eltern ließen ihn kaum aus dem Auge. Wahrschein - lich kann er die Male, die er mit einer Frau zusammen gewe - sen war, an einer Hand abzählen, dachte Julia. Und er war reich.
Sie begann, auf mütterliche Weise sein Gesicht zu strei - cheln. Seine Haut fühlte sich wie Samt an, und seine Un - schuld berührte sie. Ihre Stimme klang weicher als sonst. „Man würde Euch töten, Hoheit. “
„Wer ist es? Er wird nicht davonko mmen.“
Julia wusste nicht, was sie tun sollte. Rafael war der Thron - folger, ein Jüngling, den sie nicht verletzt sehen wollte. Und
dennoch wünschte sie sich nichts mehr, als einmal von jemand beschützt zu werden.
„Wie heißt er, Julia?“
Sie holte tief Luft. „Tjurinow.“
„Gut“, sagte der Prinz ruhig. „Ich werde Sie aufsuchen, so- bald ich die Aufgabe erledigt habe.“ Er erhob sich und ging zur Tür.
Contessa Calazzi sah verängstigt auf. Was habe ich getan? Sie rief ihn zurück und zwang sich dabei zu einem leichten Tonfall. „Ihr braucht nicht Euer Leben zu riskieren, um Euch mit mir zu amüsieren. Das weiß jeder.“
Rafael drehte sich um, kam zurück und beugte
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