Gaelen Foley - Amantea - 02
nahm es und trank einen tiefen Schluck.
Um acht Uhr betrachtete sie ihr Spiegelbild ein letztes Mal.
War dieses Konfekt in Rosa wirklich sie? Sie fühlte sich erschöpft und verloren, doch die junge Frau im Spiegel sah wie eine Prinzessin aus dem Märchen aus – unschuldig und lebensfroh. Ihre schwarzen Locken waren ihr aus dem Ge- sicht gekämmt, die Diamantentiara funkelte, und ihre Haar- pracht fiel ihr über den Rücken. Ihr Seidenkleid war schlicht geschnitten und mit einer erdbeerfarbenen Schärpe an der Taille zusammengebunden.
Was für eine Farce, dachte Serafina verzweifelt. Doch diese hübsche Verpackung war es, wofür Anatol bezahlte.
Sie trank noch einen letzten Schluck Wein und verließ ge- meinsam mit Elisabetta und einigen anderen Hofdamen im Gefolge ihre Gemächer.
Als schließlich der livrierte, gepuderte und mit einer Pe- rücke ausgestattete Saaldiener mit seinem vergoldeten Stab auf den Marmorboden schlug und mit seiner nasalen Stimme den anwesenden Gästen die Ankunft der Prinzessin verkün- dete, fühlte sie sich nicht unwohl. Der Wein hatte seine Wirkung getan, und sie machte sich keine Gedanken mehr darüber, was mit ihr geschehen würde. Zum Fanfarenklang schritt sie am Arm ihres wie immer fröhlichen Vaters die lange, geschwungene Treppe hinab.
Der König führte sie stolz unter dem riesigen Kronleuchter hindurch zu dem Podium, wo bereits ihre Mutter und Anatol saßen. Dieser erhob sich sogleich.
Der Retter von Amantea trug eine Gardeuniform. Die dun- kelblaue Jacke mit dem schwarzen Gürtel war mit zahl- reichen Medaillen verziert. Seine Epauletten, die diagonal über seine Brust verlaufende Schärpe und sein langer Degen schimmerten golden im Licht des Kronleuchters.
Die Gäste schauten gespannt zu, als Lazar seine Tochter die Stufen hinauf zu ihrem Verlobten geleitete. In Anatols Augen zeigte sich kalte Begierde, während Serafina ihn hasserfüllt ansah.
Sie machte einen perfekten Knicks, er verbeugte sich vor ihr und bot ihr seinen rechten Arm, wobei er den linken der Etikette gemäß hinter dem Rücken hielt. Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm und ließ sich von ihm zu ihrem Sessel neben dem seinen führen.
Den ganzen Abend über behandelte Tjurinow die Prinzes- sin vor ihren Eltern mit geradezu unerträglicher Höflichkeit. Er zeigte sich charmant, schmeichelte dem Premierminister und der Königin und tauschte Kriegsgeschichten mit den Generälen der Amanteaner Armee aus. Er ging sogar so weit, sich selbst die Schuld für den Streit mit Darius zu geben.
Anscheinend hatte er eingesehen, dass er es sich vor dem König nicht leisten konnte, sein Missfallen über das Verhalten des Spaniers zu bekunden.
Es gab Augenblicke, in denen Serafina am liebsten ge- schrien hätte, doch sie saß so unbeweglich wie eine Porzel- lanpuppe da und lächelte.
Das ist das Schicksal, das mir bestimmt ist, redete sie sich ein. Ganz gleich, was es bedeutete – sie musste ihrem Vater und Rafael den Thron erhalten und das Volk von Amantea vor einem Krieg bewahren. Stattdessen würden Tjurinows
arme russische Untertanen ihr Leben lassen müssen. War das gerecht?
Sie betrachtete Anatol voller Unbehagen. Niemand vermu- tete, was sich hinter seiner Maske der Freundlichkeit verbarg. Manchmal musste sie über seinen falschen Charme sogar la- chen, aber den größten Teil des Abends verbrachte sie damit, die Menge nach Darius abzusuchen.
Wie an jenem Abend im Irrgarten bemühte sie sich, seine Anwesenheit zu spüren, und musste dabei an ihren ersten Kuss auf der Wiese denken.
Sie spürte, dass sie nichts jemals wirklich trennen konnte – kein Mensch, keine Entfernung und keine Zeit.
Ob im Himmel oder in der Hölle – sie waren eins.
Mit ausdrucksloser Miene stand Darius an der Reling, wäh- rend der Kapitän der kleinen Barke das Schiff durch den morgendlichen Nebel in den Hafen von Genua steuerte.
Nach einiger Zeit läutete leise die Schiffsglocke, als das Boot sanft gegen die Kaimauer stieß. Während die aufge- hende Sonne allmählich die Stadtmauer und die Türme der Kirchen beschien, nahm Darius seinen Lederbeutel und den Gitarrenkoffer, in dem sich seine Waffen befanden, und ging an Land.
Er fühlte sich seltsam gelassen und ruhig. Wie betäubt, dachte er.
Der Hafen mit seinen Tavernen und Bordellen war be- rüchtigt. Er hielt deshalb stets eine Hand in der Nähe seines Dolchs, als er zur größten Herberge, die es gab, schritt.
Dort brachte man ihn zu den Ställen, wo er sich
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