Gaelen Foley - Amantea - 02
ihr abge- wandt, nachdem sie wieder im Königspalast eingetroffen wa- ren. Dennoch habe er sie gegen Anatol verteidigt. Mit Tränen in den Augen erzählte sie von Julias offenbartem Geheimnis, das er ihr aber niemals mitgeteilt hatte.
„Er braucht mich. Ich weiß, dass er mich braucht.“ Sie
wandte sich mit geröteten Augen an ihre Freundin. „Wenn ich ihn nur noch ein einziges Mal sehen könnte ...“
„Also gut.“ Elisabetta legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. „Ich suche ihn und bringe ihn zu Ihnen.“
Serafina schaute sie an. „Glauben Sie, dass er kommen wird?“
„Darum werde ich mich schon kümmern“, erwiderte Elisa- betta entschlossen. „Keinem Mann ist es gestattet, die Prin- zessin so zu behandeln. Nicht einmal dem großen Santiago!“
Doch eine halbe Stunde später kehrte Elisabetta allein zurück.
„Wo ist er? Kommt er?“
Die Miene ihrer Freundin wirkte ernst. „Als ich an seine Tür klopfte, wurde mir nicht geantwortet. Deshalb suchte ich Alec auf, um herauszufinden, wo er ist. Er vermutete, dass er mit Seiner Majestät ausgeritten ist. Aber ein Höfling meinte, dass Tjurinow und nicht Santiago mit dem König unterwegs ist. Schließlich traf ich zufällig Ihren Bruder.“ Sie zögerte.
„Elisabetta! Was ist los?“
„Der Prinz meinte, dass Contessa Calazzi gestern Abend bei Santiago gewesen ist, als er dessen Gemach verließ.“
Serafina schnappte nach Luft. „Nein!“
„Ihr Bruder war sich sicher, dass Darius erst nach dem Frühstück wieder auftauchen würde – wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Julia Calazzi! Das würde er nicht tun. Das letzte Mal hat sie ihm eine Ohrfeige verpasst. Vielleicht ist er in der Stadt unterwegs oder hat etwas zu erledigen.“ Sie versuchte, sich zu beruhigen, konnte aber die schreckliche Vorahnung nicht verdrängen.
Alles deutete auf die entsetzlichste Schlussfolgerung hin: Julia Calazzi war Darius’ Geliebte!
„Ich weiß nicht, wo er stecken könnte, Serafina! Es tut mir so Leid. Aber ich werde Ihnen nicht erlauben, hier zu sitzen und auf ihn zu warten. Kommen Sie.“ Elisabetta nahm die Prinzessin an die Hand und zog sie zur Tür. „Wir gehen aus!“
Die Strecke in Richtung Norden führte durch das Tal des Flusses Scrivia, das auf beiden Seiten von den hohen Gipfeln der italienischen Alpen umgeben war. Die Straße lief durch Pinien– und Kastanienwälder und an mittelalterlichen Dör- fern vorbei, die auf Hügeln lagen und von Terrassenfeldern umgeben waren.
Darius ließ das Pferd gemächlich die Serpentinen hi- nauf– und hinuntertraben, um seine Kräfte zu sparen. Nur manchmal unterbrach er die Monotonie durch einen kurzen Galopp.
Hier und da hielt er an, damit sein Ross am Fluss trinken konnte. Währenddessen betrachtete er die schneebedeckten Gipfel der Berge, die ihn umgaben, oder kostete ebenfalls von dem klaren Wasser.
Er ritt über die Grenze von Ligurien nach Piemont, als die Sonne unterzugehen begann. Inzwischen hatte sich die Landschaft verändert. Weinberge charakterisierten jetzt die Gegend. Darius wollte sie nur an ihrem südöstlichsten Aus- läufer durchqueren, um dann am nächsten Tag die Lombardei und das flache Po-Delta zu erreichen.
Als die alte Kleinstadt Busalla vor ihm auftauchte, hielt er an und betrachtete die wenigen Häuser in dem grünen Tal.
Was für ein einsamer Ort, dachte er.
Doch da er des langen Reitens müde war, stieg er ab und suchte sich für die Nacht eine Herberge.
Nach einer ausgiebigen Spazierfahrt kehrten Elisabetta und Serafina im offenen Landauer in den Palast zurück. Als ihre Kutsche die lange Zufahrt zum Schloss hochfuhr, hörten sie das Schlagen von Trommeln. Zwischen den beiden Pracht- straßen, die zum Palast führten, fand gerade eine eindrucks- volle Militärparade statt.
Elegant uniformierte Soldaten marschierten in komplizier- ten Formationen. Ihre Gewehre funkelten in der untergehen- den Sonne, während sie Schulter an Schulter im Gleichschritt gingen. Serafina entdeckte Anatol, der an der Seite des Pa- radefelds stand. Mit vorgestrecktem Kinn und den Händen auf dem Rücken beobachtete er kritisch, wie seine Truppen gedrillt wurden.
„Es ist also wahr. Er hat eine Armee von Hünen“, sagte Elisabetta voller Bewunderung und blickte auf die großen, kräftigen Russen.
„Er demonstriert uns seine Stärke“, bemerkte Serafina ahnungsvoll.
Als Anatol ihrer von weitem gewahr wurde, nahm er sei- nen Zweispitz ab und verbeugte sich von fern. Eine eisige
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