Gaelen Foley - Knight 01
hatte ihm unbedingt zeigen wollen, was sie alles für ihn tun konnte, damit er sie vieheicht nicht mehr nur als Mittel zum Zweck betrachtete, sondern als menschliches Wesen wahrnahm – oder wenigstens als Frau, die es wert wäre, seine echte Geliebte zu werden. Und sie hatte ihm beweisen wollen, dass er nicht so erhaben über ihr stand, wie er immer vorgab. Daher hatte sie ihren Gönner praktisch verführt. Warum soll- te sie sich fürchten? Die Position als seine teure Geliebte war ihr vermutlich sicher. Sie würde reich sein. So gut hatte es ihm gefallen, dass er sie vermutlich auch dann noch als Geliebte behalten wollte, wenn die Sache mit Dolph vorbei war. Aber respektieren würde er sie nun nicht mehr. Nicht nach dieser Episode.
Sie respektierte sich ja selbst nicht, und anscheinend war sie jetzt eine echte Hure geworden, weil es ihr nicht einmal Leid tat. Wie er sich angefühlt hatte, so stark und heiß und samten. Wie er auf ihren Kuss, auf ihre Berührungen reagiert hatte ... Sie hatte sich vorgenommen, ihn zu erobern, hatte dabei aber vor allem die Einsamkeit in ihrem eigenen Herzen entdeckt, die sich in seinen verletzlichen Bedürfnissen widerspiegelte, die innere Leere in ihr, die sich nach seiner Kraft und Zärtlich- keit sehnte. Und am Ende war es nicht mehr um Macht gegan- gen. Ihn zu küssen, ihm zu dienen, ihm Vergnügen zu schenken war ihr Freude genug – und das waren nun wahrlich gefährli- che Zustände.
Robert. Sie schauderte, schloss fest die Augen, während das Wasser zwischen ihren Fingern zurück in die Waschschüssel rann, ebenso wenig festzuhalten wie die Liebe. Sie wandte sich vom Waschbecken ab, krümmte sich zusammen vor der unge- heuren Woge panischer Sehnsucht, die sie wie ein körperlicher Schmerz überrollte.
Er durfte es nie erfahren. Sie durfte das nicht fühlen. Eine
Kurtisane durfte sich nicht verlieben, denn das wäre ihr Ende. Sie schleppte sich zum Bett und legte sich hin, den Unterarm auf die Augen gepresst, um die Tränen zurückzuhalten.
In diesem Augenblick drangen von unten die ersten Töne nach oben, vorsichtig, forschend wie sein erster Kuss in jener Nacht bei Harriette. Wie verzaubert hielt sie den Atem an, während die Musik den Raum erfüllte und sie schützend um- hüllte. Sie gab sich der Musik hin, hielt sich an jeder Note fest, als hinge ihr Leben davon ab.
Er spielte meisterhaft. Die Sonate war sehr viel komplizier- ter als die Stücke in ihrem Repertoire, erst zärtlich, traurig und langsam, dann wieder schwoll sie zu so großartiger Dramatik an, dass es sich nur um Beethoven handeln konnte. Allmählich erkannte sie, dass Robert zu ihr sprach, nur zu ihr, und dann begann sie vor Freude zu lachen und zu weinen: Zum ersten Mal und auf unvorhersehbare Weise hatte der kalte Stern der Demimonde es endlich einem Mann gestattet, sie zu berühren.
10. KAPITEL
Mehr als zwei Wochen später stand Bel vor dem Spiegel ihrer Schneiderin in der Bond Street. Die energische Französin ließ sie das neueste Abendkleid anprobieren, das sie für La Belle Hamilton kreiert hatte, ein prächtiges Gewand aus eisblauer Seide mit tiefem herzförmigen Dekollete. Keine Frage – es war die Robe einer Kurtisane.
Bel beobachtete, wie die Schneiderin ihr den hoch angesetz- ten Rock über Taille und Hüfte glatt strich, und hatte das Ge- fühl, dass sie nun zu dem wurde, was sie zu sein vorgab, dass sie jedoch in dieser Rolle tiefere Freude gefunden hatte als je zuvor in ihrem Leben.
Sie konnte nur noch an Robert denken.
„Das hier wird ihm gefallen, Mademoiselle“, murmelte die Schneiderin, deren dunkle Augen vor Stolz auf ihre Kreation blitzten.
„Unbedingt“, stimmte Bel anerkennend zu. Sie konnte es kaum erwarten, Roberts Gesichtsausdruck zu sehen, wenn er den gewagten Ausschnitt erblickte.
„Ein besonderer Anlass?“
„Die Argyll Rooms.“
„Ich dachte, es wäre für die Dinnerparty!“
„Nein, da nehme ich das rosafarbene. Das hier ist für den Ball der Kurtisanen.“
Seit jenem nächtlichen Zwischenspiel in der Bibliothek war zwischen ihnen etwas Neues, Wunderbares entstanden, der zarte Spross einer unbekannten Blume. Sie hatte vergessen, wie es sich anfühlte, in Sicherheit zu sein. Und glücklich. Ihre Maskerade ging weiter – Bälle, Konzerte, Soireen, Vaux- hall, der Piccadilly Saloon, das Theater, die Oper, der Park. Ro- bert sprach nicht mehr von Dolph oder Lady Coldfell. Auch Bel erwähnte sie nicht; sie wusste, dass der erste August nur zu
bald
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