Gaelen Foley - Knight 03
Dann legte sie den groben Wollmantel ab.
„Hallo, meine Schöne“, sagte Stefano, der männliche Hauptdarsteller, und schlenderte mit verführerischem Lä- cheln auf sie zu.
Miranda tat seinen flirtenden Blick mit einem Lachen ab und zog sich ihre schneeverkrusteten Stiefel aus. In dem Moment kam Mr. Chipping herein. Der lebhafte kleine Glatzkopf war der Manager der Theatertruppe, die bestän- dig zwischen Birmingham, Coventry, Leicester und Not- tingham tingelte.
Mr. Chipping hatte schon oft beteuert, dass ihr als Toch- ter der international berühmten Fanny Blair der gesamte Theaterhimmel offen stünde, wenn sie nur wollte. Er hatte ihr schon die Rolle der jugendlichen Heldin angeboten, da- mit sie dann eines Tages zur Hauptdarstellerin aufsteigen könnte, genau wie ihre Mutter am Lyceum Theatre in Lon- don, wo ihr Vater sie zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte. Mr. Chippings Miene leuchtete auf, als er Miranda sah.
„Ah, da ist sie ja! Mein Liebling, mein teures Kindchen, mein kleiner Stern! Und keine Sekunde zu früh! In zehn Minuten bist du an der Reihe.“
„Ich kann es kaum erwarten!“ Sie umarmte den kleinen Mann und drückte ihn fest. Da sie etwas größer als er war, konnte sie ihm ein Küsschen auf den Glatzkopf hauchen. „Ich bete Sie an, Mr. Chipping. Ich bin so glücklich! Dan- ke, dass Sie mir diese Chance geben!“
Er lachte und zwinkerte gutmütig mit den Augen. „Gern geschehen, mein Liebes. Ich weiß, dass du mich nicht ent- täuschen wirst.“ Er wandte sich an die anderen Schauspie- ler. „Viele Leute haben es um Weihnachten herum ein biss- chen schwer. Wir wollen heute unser Allerbestes geben.“ Er fasste Miranda um die Taille, womit er sie aus ihrer kur- zen Gedankenverlorenheit aufstörte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es jemanden gab, der Weihnachten noch mehr hasste als sie. Für sie war es der schmerzlichste Tag im ganzen Jahr. „Bist du bereit, mein Mädchen?“ fragte Mr. Chipping fröhlich.
Mit dramatischer Geste warf sie die langen Haare über die Schulter zurück und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. „Aber immer!“
2. KAPITEL
Damien trabte die mondbeschienene Straße von Stratford entlang und kam gegen sieben Uhr abends in Birmingham an. Er zügelte das Pferd, bis es nur noch Schritt ging, als sie die Bradford Street erreichten, und schaute sich neu- gierig in der aufblühenden Stadt um.
Bei Jasons Beerdigung in London war alles glatt gegan- gen, doch Damien war vor Ungeduld beinahe wahnsinnig geworden, weil Bow Street niemanden verhaftete. Nicht einmal konkrete Anhaltspunkte hatten sie! Lucien hatte ihn schließlich dazu gebracht, die Untersuchung den Be- hörden zu überlassen und stattdessen seinem Mündel die traurige Nachricht zu überbringen – die Aufgabe, vor der Damien am meisten graute. Trotzdem, vielleicht waren die Tränen des kleinen Mädchens immer noch leichter zu er- tragen, als abzuwarten, dass endlich etwas geschah.
Gerade ritt er auf das eindrucksvolle Royal Hotel in der Temple Row zu. Dort wollte er sich ein Zimmer nehmen. Als er das Gasthaus erreicht hatte, stieg er ab und trat ein. Der Wirt wurde blass vor Ehrfurcht, als er Damiens Unter- schrift im Gästebuch las. Sofort gab er ihm das beste Zim- mer und versicherte ihm, die Rechnung ginge auf Kosten des Hauses, doch Damien lehnte ab. Er wollte zahlen wie jeder andere Gast. Die Küche schickte ihm ein üppiges Dinner in seine Suite.
Nachdem er das Essen wie ein hungriger Wolf verschlun- gen hatte, trat er ans Fenster und ließ seinen Blick über die Lichter der Stadt und die dunklen Felder dahinter schwei- fen. In den Glasscheiben spiegelte sich geisterhaft sein bleiches Gesicht. Sehnsüchtig sah er über die Schulter zum Bett. Er hatte sich selbst so satt, und er sehnte sich so nach körperlicher Liebe.
Jetzt, wo er sich wieder in die Welt begeben hatte, konn- te er kaum glauben, dass es sechs Wochen her war, seit er zum letzten Mal bei einer Frau gelegen hatte. Im Hotel war es zwar nicht gestattet, sich Huren aufs Zimmer kommen zu lassen, aber, zum Teufel, er war schließlich Colonel Lord Winterley. Bestimmt würde das Personal beide Augen zu- drücken, wenn der Kriegsheld sich in dieser kalten Nacht von einem Mädchen das Bett wärmen lassen wollte.
Nein, dachte er nach einem Moment streng. Disziplin. Keine Frauen. Keinen Schnaps. Disziplin war alles. Er stieß sich vom Fenster ab und begann unruhig im Zimmer herumzugehen. Nein, er durfte der Versuchung nicht nach-
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