Gaelen Foley - Knight 04
gar nicht aufgefallen.“
Er musterte sie. „Du bist ganz schön vorlaut, was?“
„Aber nein! Fragen Sie meine Gouvernante.“
Am liebsten hätte er ihr das koboldhafte Lächeln von den Lippen geküsst, aber er schaffte es, sich zusammenzureißen. „Du bist gefährlich“, sagte er leise und schob sie zu seinem Schreibtisch hinüber, wo er ihr den Stuhl hervorzog.
Sie setzte sich, ganz Dame, und kreuzte graziös die Knö- chel. Blade schaute sie verklärt an und konnte kaum glau- ben, dass sie es zugelassen hatte, dass er sie berührte.
Sie mag mich. Die Erkenntnis erfüllte ihn mit purem Glück. Er, der dem Tod ins Angesicht blickte, dem Henker täglich ein Schnippchen schlug und seine Tage in Londons Unterwelt verbrachte, wurde in Anwesenheit eines hüb- schen Mädchens auf einmal nervös wie ein Schuljunge. Wie dämlich. Was war er nur für ein Idiot.
Es war ihm egal.
„Was ist?“ fragte Jacinda.
„Nichts.“ Rasch sah er sich um und überlegte, was man ei- ner echten Lady wohl anbieten konnte. „Möchtest du viel- leicht etwas, äh, Tee haben?“
Jacinda betrachtete ihn verwundert, als ob sie staunte, dass er schon einmal von solch einem Getränk gehört hatte. „O ja, sehr gerne.“
In Ordnung. Blade trat an den Kamin und stellte fest, dass er das gesamte heiße Wasser zum Säubern seiner Wunde verbraucht hatte. Verdammt. Verlegen drehte er sich um. Fragend zog sie eine Braue hoch.
„Vielleicht ... ein Glas Wein?“ bot er an.
Sie unterdrückte ein Lächeln. „Das ist sogar noch besser.“ Blade ging zur Truhe und holte seinen besten Rotwein hervor. Dabei sah er seine Hemden als wüstes Knäuel in der Ecke liegen, und ihm fiel ein, dass er ja noch gar nicht ange- zogen war. Hastig zerrte er eines hervor, schüttelte es glatt und streifte es sich über den Kopf. Was das Mädchen wohl von seinen Tätowierungen hielt? Aber das war ja egal, denn es hatte ihn noch nie gekümmert, was andere über ihn dach- ten.
Ich bin das nicht gewohnt, befand er, während er zwei Gläser Wein eingoss. Wenn er mit Carlotta zusammen gewe- sen wäre, hätten sie bereits das Liebesspiel beendet und wä- ren jetzt bei einem Zigarillo danach angelangt.
Blade trug den Wein zu „Miss Smith“ hinüber, und sie be- dankte sich mit einem leichten Neigen des Kopfes. Er nahm
einen Schluck und ließ sich dann auf sein Bett sinken.
Von dort aus beobachtete er, wie sie ein paar Schlucke von seinem sauren Wein trank und ihn dann höflich anlog, um seine Gefühle nicht zu verletzen: „Er schmeckt ... sehr gut.“ Sie war die schlechteste Lügnerin, der er je begegnet war. Lässig ließ er sich auf das Bett zurücksinken. „Wenn du mir schon nicht deinen richtigen Namen verraten willst, ,Miss Smith’, erzählst du mir dann wenigstens, warum du wegge- laufen bist?“
Jacinda starrte angestrengt in ihr Glas und straffte dann die Schultern. „Ich wüsste nicht, warum Sie das interessie- ren sollte.“ Unter langen Wimpern warf sie ihm einen Blick zu. „Sie haben mit O’Dell genug eigene Probleme.“
„Stimmt“, gab Blade zurück, „aber zufällig habe ich auf dem Gebiet so meine Erfahrungen gemacht.“ Er schwieg. „Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Weglaufen sich nicht lohnt.“
Überrascht hob Jacinda den Kopf. „Sind Sie auch von zu Hause weggelaufen?“
Blade nickte und seufzte tief. „Es ist Jahre her, und glaub mir, ich kann es nicht empfehlen.“
„Wieso sind Sie weggerannt? Ich meine ... natürlich nur, wenn Sie es sagen wollen.“
Nachdenklich betrachtete Blade sie. Sie wollte also seine Geschichte hören und anschließend eventuell ihre erzählen. Warum nicht. „Mein alter Herr hatte eine Vorliebe dafür, mir ein blaues Auge zu verpassen“, begann er wegwerfend. „Nach einem besonders unangenehmen Erziehungserlebnis bin ich weggelaufen. Da war ich dreizehn.“
„Oh, das tut mir so Leid!“ Voller Mitgefühl sah Jacinda ihn an.
„Mir nicht.“ Er trank noch einen Schluck Wein.
„Kommen Sie aus dem Westen des Landes?“
„Woher weißt du das?“
Jacinda lächelte. „Sie rollen Ihre Rs.“
„Ich komme aus Cornwall. Und du?“
„Cumberland.“
„Ah, also verrätst du mir ja doch ein bisschen. Warum rennst du weg, Cumberland?“
Misstrauisch beäugte sie ihn, und er konnte förmlich se- hen, wie ihre Gedanken sich überschlugen. Unbewusst zog
sie die Knie an und umschlang sie mit den Armen.
„Komm schon, mir kannst du es ruhig anvertrauen“, drängte er sie. „Bald
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