Gaelen Foley - Knight 04
ihr den Hof gemacht, und Mama ... nun, Ma- ma war ein ,zerbrechliches Gefäß’, wie Robert es ausge- drückt hat.“
„Robert?“
„Mein ältester Bruder. Wie kommt es, dass niemand etwas sagt, wenn ein Mann sich eine Geliebte nimmt, aber jeder sich das Maul zerreißt, wenn eine Frau dasselbe tut?“ Sie sprang auf und ging im Zimmer auf und ab. „Es ist nicht ge- recht! Niemand spricht davon, wie begabt Mama war oder was für großartige Essays sie über die Rechte der Frau ver- fasst hat und dass sie die Runde durch London gemacht hat, um ihre Freunde rechtzeitig zu einer wichtigen Wahl ins Oberhaus zu bringen – und niemand erwähnt je ihren Hel- dentod!“
Ihr dünnes Kleid schmiegte sich bei jedem Schritt aufrei- zend an Jacindas schlanke Beine, und Blade musste sich zu- sammenreißen, um weiter zuzuhören. „Wie ist sie gestor- ben?“
Jacinda seufzte, lehnte sich an die Kommode und stützte sich mit gepflegten Händen darauf ab. „Mama liebte Frank- reich. Sie war auf der Sorbonne und hatte viele Freunde in- nerhalb der Aristokratie. Während der Revolution hat sie gemeinsam mit einem ihrer Liebhaber, dem Marquis of Carnarthen, die Kinder der Adeligen aus Frankreich he- rausgeschmuggelt, um sie vor der Guillotine zu retten, aber dann wurde sie gefasst und als Spionin hingerichtet.“
„Himmel!“ stieß Blade hervor. „Ist das wahr?“
„Ja.“ Jacinda kehrte müde zum Schreibtisch zurück, hängte sich ihre Tasche über die Schulter und ließ sich auf den Stuhl sinken. Sie starrte in die Ferne, und Blade fand, dass sie wie die personifizierte Jugend aussah. „Können Sie mein Dilemma verstehen? Ich möchte wie sie sein – ich möchte mehr sein, aber wie kann ich das, wenn jede meiner
Bewegungen nach den unsinnigen Regeln der Gesellschaft beurteilt und eingeengt wird und ich noch dazu den Mühl- stein der Schande meiner Mutter um den Hals trage?“
„Beim Pferdrennen um Küsse zu wetten klingt mir nicht sehr nach Anpassung. Das kommt mir eher wie eine absicht- liche Düpierung der Gesellschaft vor.“
„Mag sein. Können Sie mir einen Vorwurf daraus machen, dass ich sie verabscheue? Meine Mutter war mehr wert als all die pompösen Heuchler zusammengenommen, und doch haben sie sie verstoßen, und nun ist sie tot. Ich hatte nicht einmal die Chance, sie kennen zu lernen.“
„Nun“, begann Blade trocken, „ich hoffe, dass du deiner Familie zumindest eine Nachricht hinterlassen hast.“
„Natürlich! Ich will ja nicht, dass sie sich Sorgen ma- chen.“ Ein Blick auf die staubige Kaminuhr verriet Jacinda, dass es jetzt Mitternacht war. „Ich bezweifle, dass sie sie schon gefunden haben. Wahrscheinlich sind sie noch bei Al- mack’s. Blade, können Sie mich zurück zur Postkutschen- station bringen, oder muss ich den Weg selbst finden?“
Er antwortete nicht gleich. „Warum bleibst du nicht eine Weile hier?“ schlug er vor. „Schlaf erst einmal eine Nacht, bevor du nach Frankreich reist. Du kannst mein Bett ha- ben.“
Jacinda ließ die Hände sinken und sah ihn überrascht an.
„Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass du alleine da drau- ßen herumläufst. Keiner hier wird dir ein Haar krümmen, das verspreche ich dir – und wer weiß, vielleicht erweist sich der Einfluss von so viel weiblicher Schönheit wirklich als heilsam für meine Moral.“
Jacinda errötete und lächelte. „Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, aber mein Entschluss steht fest. Ich möchte un- bedingt vor Morgengrauen an der Küste sein. Außerdem sind alle meine Sachen noch in der Postkutschenstation, und die Kutsche wartet auf mich.“
„Dann mach, was du willst.“ Blade spürte ungerechtfer- tigten Ärger über ihre Ablehnung, suchte aber trotzdem nach einer Möglichkeit, Jacinda noch länger festzuhalten. „Darf ich dich etwas fragen?“
„Ich denke schon.“
„Was waren denn diese Sünden, die deine Mutter began- gen haben soll?“
„Wollen Sie das wirklich wissen?“
„Sonst würde ich ja nicht fragen.“
„Mama hatte sechs Kinder von vier verschiedenen Män- nern.“ Herausfordernd blickte sie ihn an, und er wusste, dass seine Reaktion jetzt entscheidend war.
Falls sie befürchtete, er würde ihre Mutter jetzt moralisch verurteilen, hatte sie anscheinend vergessen, wer er war. Gleichmütig hob er eine Braue. „Donnerwetter.“
Jacinda freute sich, wie ungerührt er ihr Geheimnis zur Kenntnis nahm. „Sie war schön, begabt – und auch noch tapfer. Fast jeder Mann war in sie
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