Gaelen Foley - Knight 05 - Rache im Blut
wollte ihm in die Augen sehen und ihn wissen lassen, dass er nicht allein war. Sie war entschlossen, ihm zu zeigen, dass er an diesem traurigen Tag ihre Unterstüt- zung hatte, so wie sie auch seine Tante bis zum letzten Tag begleitet hatte.
Endlich entdeckte Lizzie seine große, starke, einsame Ge- stalt vor der Kathedrale. Sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt. Er hatte den Sarg gemeinsam mit den anderen Trä- gern bereits in die Kathedrale gebracht, und nun stand er an den großen, offenen Toren der Kirche und nahm stoisch die Beileidsbekundungen der unzähligen Gäste entgegen, die für den Gottesdienst in die Kirche strömten, und nicht ein einzi- ges Mal verlor er seine ernste, elegante Haltung. Lizzie kam es so vor, als wäre er benommen, und sie konnte es kaum er- tragen, dass er alleine dort stand.
Als sie unter einem noch kahlen Baum auf dem Kirchhof stand, während der Regen ihr kalt das Gesicht nässte, ver- spürte sie unendliche Traurigkeit bei dem Wissen, dass er das alles schon einmal durchlitten hatte. Dieser neuerliche Verlust zwang ihn sicher dazu, das dreifache Begräbnis von Vater, Mutter und kleiner Schwester vor siebzehn Jahren noch einmal zu durchleben. Es brach ihr das Herz, ihn so zu sehen, aber zu wissen, dass er als Siebzehnjähriger dasselbe hatte durchmachen müssen, war unvorstellbar.
Aber Devlin ließ sich nichts anmerken. Die Tatsache, dass er sich ganz in sich zurückgezogen hatte, verriet ihr, dass er tief in seinem Innern furchtbar litt. Blind vor Tränen, die sie seinetwegen vergoss, kämpfte sie sich zu ihm vor und ach- tete dabei auf nichts anderes. Zufällig hob er jetzt den Kopf und sah sie durch die Menge auf sich zukommen. Einen Herz- schlag lang sahen sie einander einfach nur an.
Aus der Nähe konnte sie die Linien der Anstrengung um seinen Mund erkennen, konnte sehen, wie tief seine Augen in den Höhlen lagen. Den verlorenen Ausdruck seiner blaugrü- nen Augen würde sie ihr Leben lang nicht vergessen. Lizzie schluckte und trat näher.
Als sie endlich bei ihm war, fiel ihr nichts ein, was sie hätte
sagen können.
Lange Zeit sahen sie einander schweigend an. Sie wollte ihn nur noch in die Arme nehmen, aber überall um sie herum waren Leute, darunter auch ein paar wenig vertrauenerwe- ckende Kerle, die neugierig zu ihnen hinübersahen. Lizzie achtete nicht auf sie.
„Oh, Devlin“, seufzte sie und schüttelte langsam den Kopf. „Es tut mir so entsetzlich Leid.“
Er senkte den Kopf, aber sie sah trotzdem, dass seine Au- gen feucht wurden. „Danke. Danke, dass du gekommen bist“, stieß er hervor und ergriff ihre Hand genauso höflich wie die der anderen Gäste, aber sie hörte den Schmerz, als seine Stimme brach.
„Natürlich bin ich gekommen“, murmelte Lizzie und drückte dann tröstend seine behandschuhte Hand. „Ich wür- de dich das hier nie alleine durchstehen lassen.“
Dev sah in ihre grauen Augen, als gäbe es dort irgendeinen Rettungsanker für ihn. Wie oft hatte er an sie gedachte, seit er damals ihr Zimmer verlassen hatte. Von dem Moment an, in dem er sie entdeckt hatte, wie sie sich tapfer durch die Menge schob, um zu ihm zu kommen, hatten zwei Gefühle in ihm um die Vorherrschaft gekämpft: Einerseits wollte er den Kopf an ihre Brust legen und sich von ihren Armen trös- ten lassen, und andererseits wollte er, dass sie auf der Stelle wieder ging – sofort, ehe er ihretwegen vor den tausend Men- schen hier zusammenbrach. Er hatte bereits einen Kloß in der Kehle, seit er sie gesehen hatte.
Das Mädchen, das nicht wusste, dass es seine Selbstbeherr- schung zum Wanken brachte, sah ihn mit so zärtlichem Mit- leid an, dass er spürte, wie jede Kraft ihn verließ. Allein ihre Gegenwart gab ihm das Gefühl, dass jetzt alles gut werden würde. Aber das würde es nicht. Sie war naiv. Sie wusste nichts von der Grausamkeit der Welt.
Er dagegen schon.
Der Tod seiner Tante hatte ihn nur einmal mehr daran erin- nert, warum er es vorzog, in völliger Einsamkeit sein Leben zu leben. Lizzie Carlisles Berührung und ihr Lächeln waren Salz in seine Wunden. Sein Entschluss war schon lange ge- fasst. Er würde das hier nie wieder durchmachen.
Außerdem war er sich gar nicht so sicher, dass er den Kampf überlebte, wenn es zum ersten Schlag gegen seine
Feinde kam, die in der Nähe herumlungerten, warum also sollte er sie so nah an ihn heranlassen? Diese Trauer wünsch- te er niemandem.
Voller Schmerz und im Gefühl absoluter Einsamkeit sehn- te er sich
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