Gaelen Foley - Knight 06
sie ihn an.
Geschickt drehte er die Gabel zwischen den Fingern. „Ich denke kaum jemals an sie.“ Dann schwieg er und stützte sein Kinn auf die Hand. „Warum sollte ich? Sie hat auch nicht an uns gedacht.“
Becky zuckte zusammen. Während sie den Blick senkte, be- trachtete Alec sie.
„Wie viele Brüder hast du insgesamt, Alec?“
„Vier, und eine Schwester. Jacinda. Sie ist in deinem Alter. Sie war erst zwei, als Mutter fortging.“
Becky trank einen Schluck Tee, um sich zu fassen. „Ich ver- stehe.“
Er beobachtete sie derart aufmerksam, dass sie fest davon überzeugt war, er wollte etwas ganz Bestimmtes von ihr – als würde er sie einer Art Prüfung unterziehen. Sie hatte das Ge- fühl, dass sie nur scheitern konnte, denn sie wusste nicht, um was es ging.
„Du siehst erschrocken aus.“
„Das bin ich.“
„Was hältst du von meiner Geschichte?“
Vorsichtig schüttelte sie den Kopf. „Ihr Londoner seid – anders.“
„Das Verhalten meiner Mutter entsetzt dich nicht so sehr, oder?“, fragte er leichthin und lehnte sich zurück. „Ich hasse es, das sagen zu müssen, aber in Wahrheit haben wir alle verschie- dene Väter – natürlich abgesehen von den Zwillingen. Robert und Jacinda sind wiederum von ihm.“ Während er das sagte, deutete er auf das Porträt eines steifen, unglücklich aussehen- den Mannes an der gegenüberliegenden Wand.
Auf der goldenen Platte darunter war „Der achte Duke of Hawkscliffe“ zu lesen.
„Armer Kerl“, fuhr er fort, als drehte sich das Gespräch nicht um die eigene, sondern um eine andere Familie. Eine Weile starr- te er das Porträt des Dukes an. „Nie hat er auch nur ein Wort mit mir gesprochen, aber immerhin besaß er den Anstand, uns alle als seine Kinder anzuerkennen. Den Skandal hätte er nicht ertragen, weißt du.“
Sie räusperte sich und hätte sich um ein Haar an ihrem Tee verschluckt. „Du willst damit sagen, er war nicht dein richtiger Vater?“
„So ist es“, meinte Alec. „Meine Mutter fand Gefallen an mei- nem richtigen Vater, als er im Drury Lane auf den Brettern, die die Welt bedeuten, den Hamlet spielte.“
Becky gehörte nicht zu den Frauen, die leicht in Ohnmacht fielen, aber wäre sie eine von diesen, so wäre dies der richti- ge Augenblick gewesen, um Riechsalz zu bitten. „Ein – Schau- spieler?“
„Ja.“ Alecs Lächeln war übertrieben süßlich. „Sein Name lautete Sir Phillip Preston Lawrence. In seinen besten Zeiten waren die Damen ganz hingerissen von ihm. Man sagt, ich sähe ihm ähnlich.“ Er zuckte die Achseln und nippte an seinem Kaf- fee. „Keine Ahnung. Bin dem Burschen nie begegnet.“
„Ich verstehe.“ Sie betrachtete ihren Teller.
Er lachte. „Jetzt habe ich dich schockiert.“
Unsicher sah sie ihn an. „Machst du dich mit alldem über mich lustig?“ Sie wusste, wie gern er Scherze trieb ...
„Ich fürchte nicht, Becky, meine Liebe. All das ist wahr“, er- klärte er mit einem müden Lächeln. „Die gesamte Gesellschaft weiß darüber Bescheid. Wenigstens habe ich mehr Glück gehabt als Jack. Jack ist der Zweitgeborene – Mutters erste Indiskreti-
on, und was für eine! Als sie beschloss, es Seiner Gnaden heim- zuzahlen, nachdem sie von seiner Mätresse erfahren hatte, traf sie eine gute Wahl.“
Becky warf ihm einen fragenden Blick zu und machte sich auf einiges gefasst.
„Jacks richtiger Vater war ein irischer Preisboxer, den man den ,Killarney Crusher’ nannte.“
„Gütiger Himmel!“ Schnell presste sie die Hand auf den Mund.
„Wenigstens hat Jack den Kampfgeist seines Vaters geerbt. Und Fäuste wie Kanonenkugeln – was ein Glück war, denn die konnte er gebrauchen, um gegen all die Jungen zu kämpfen, die unsere liebe Mutter ,Hawkscliffe-Hure’ nannten.“
Becky stöhnte auf und schloss einen Moment lang die Augen. Vielleicht war Alecs Leben doch nicht ganz so perfekt, wie es auf den ersten Blick ausgesehen hatte.
Er betrachtete sie mit leiser Belustigung, doch der Ausdruck von Abscheu in seinen Augen war unübersehbar, als er noch ei- nen weiteren Blick auf das Porträt seiner Mutter warf. „Zugege- benermaßen hatte sie ein abwechslungsreiches Leben. Ich erin- nere mich noch, da war ich neun oder zehn Jahre alt – ich saß oft bei ihr, wenn sie sich für den Abend in der Stadt zurechtmachte. Sah ihr zu, wie sie sich frisierte und den Schmuck anlegte und mir erzählte, wer alles auf dem Ball oder der Gesellschaft sein würde.“
„Du – du standest ihr
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