Gaelen Foley - Knight 06
aufstieg über die Narben, die die Duchess hinterlassen hatte, mochte ihr Ende nun hero- isch gewesen sein oder nicht. Abrupt legte sie die Gabel nie- der und wandte sich zu ihm. „Es tut mir leid“, stieß sie hervor, „aber ich kann dir versichern: Wäre in Buckley-on-the-Heath eine Mutter von sechs Kindern mit ihrem Liebhaber davonge- laufen, man hätte sie bei ihrer Rückkehr kaum mit offenen Ar- men empfangen.“
„Tatsächlich?“, fragte er. Die Vorstellung schien ihm zu ge- fallen.
„Ja, Alec. Tatsächlich.“
Er legte die Zeitung hin, sah sie aufmerksam an, und in sei- nen Augen blitzte es. Ihr Zorn schien ihm zu gefallen. Ein wenig schwand der verbitterte Ausdruck aus seinen Augen, dann lä- chelte er dem Porträt zu. „Hast du gehört, Mutter? Becky Ward billigt dein Verhalten nicht.“
Kurz darauf verließ Alec Becky, damit sie sich in einem der vie- len Schlafräume des Hauses ausruhen und er einige Vorberei-
tungen für ihre Abreise aus London treffen konnte.
Am nächsten Morgen, gleich bei Tagesanbruch, wollten sie nach Brighton aufbrechen. Da die Kosaken noch immer die Straßen Londons nach ihr durchsuchten, schien ein Ortswech- sel mehr Schutz zu bieten. Alecs vornehmliches Ziel war es je- doch, in der Stadt an der südlichen Küste beim Kartenspiel zu gewinnen. Um Beckys Haus erstehen zu können, musste er an einem Spiel mit hohen Einsätzen teilnehmen, an dem sich ge- nügend wohlhabende Spieler beteiligten. Die Saison in London war jedoch vorüber, und die einsatzfreudigen Spieler der Ge- sellschaft waren zusammen mit den anderen Schönen und Rei- chen für den Sommer nach Brighton gereist, genau wie in jedem Jahr.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Kurkow dort auftauchen würde – aber wenn er in Best- form spielte, wenn er seinen verdammten Verstand benutzte, an- statt sich rückhaltlos in Fortunas Arme zu werfen, dann würde er es mit ein wenig Glück geschafft haben, genügend Geld zu gewinnen, ehe der Prinz eintraf.
Jetzt war er erst einmal erleichtert, dass Becky mit dem Plan einverstanden war, den er entwickelt hatte. Sie schien sich ihm immer mehr anzuvertrauen. Das war für Alec zutiefst befriedi- gend, es gab ihm etwas von dem zurück, was er an Lady Cam- pion verloren hatte.
Während er die Straße hinunterging, fühlte er sich durch das erfahrene und zu erwartende Abenteuer wieder lebendig. Sein Blick war fest und geradeaus gerichtet, sein Schritt wirkte ent- schlossen. Ehe sie beide die Stadt verließen, musste er noch et- was Geld beschaffen, doch seine vorrangige Aufgabe bestand darin, die Klubs der Stadt aufzusuchen, um sich ein wenig um- zuhören.
Den Feind kennenzulernen.
Er wollte zu White’s und zu Brooke’s, um in Erfahrung zu bringen, was man sich so in London über den berühmten russi- schen Kriegshelden erzählte.
Der Weg war nicht weit. Knight House lag nur einen Block entfernt von St. James’s Street, wo Englands exklusivste Her- renklubs lagen. Für Alec war das kein unbekannter Weg. Zahl- lose Male waren er und seine Brüder hier entlanggegangen, nüchtern oder auch nicht.
Phaetons und Curricles kamen vorüber, Freunde riefen ihm etwas zu und winkten im Vorbeifahren. Alec erwiderte ihre Grü- ße und begab sich dann als Erstes zu White’s.
Er schlenderte von Raum zu Raum, als wäre er der Herr des Hauses, grüßte hier und da Bekannte mit derselben Haltung ge- langweilter Rastlosigkeit wie immer. Er stellte ein paar Fragen, plauderte ein wenig und warf dann einen Blick in das berüch- tigte Wettbuch. Über Kurkow gab es zwei Einträge: Einer davon betraf die Wette, ob der Prinz eine englische Braut wählte oder eine aus Russland kommen ließ, die andere zielte darauf ab, ob er sich eher für die Tories oder die Whigs entscheiden würde.
Interessant.
Gerade wollte Alec den Klub verlassen, um bei Brooke’s sein Glück zu versuchen, als er den russischen Botschafter erblickte, der dabei war, auf einem der großen ledernen Fauteuils Platz zu nehmen. Fürst Lieven hielt in der einen Hand eine Dokumen- tenmappe, in der anderen eine Tasse mit Kaffee.
Alec lächelte, dann näherte er sich dem klugen und liebens- würdigen Mann. Sie waren miteinander bekannt, vor allem durch die Fürstin Lieven, die eine der großen Damen der Ge- sellschaft geworden war, und zwar zu der Zeit, als ihr Gemahl als Botschafter des Zaren am Hof von St. James’s tätig war.
Alec hatte Lieven immer bewundert für die Art, wie er seine
Weitere Kostenlose Bücher