Gaisburger Schlachthof
zwei schwarze Pillen. Dazu kann ich nur sagen, es sind Pillen, die mich von meiner gelegentlichen Fresslust abhalten und gleichzeitig aufbauen. Ich unterziehe mich einer vorbeugenden Elektro-Lipolyse und einer vorbeugenden Elektro-Ridopunktur gegen Falten. Dazu gehört einmal pro Woche das Beface-Lifting, Farb- und Aromatherapien und eine Frischzellenkur. Momentan beschäftige ich mich sehr intensiv mit den Hüften, weil die mein ganzes Erscheinungsbild beeinflussen. Als Frau um die dreißig muss man daran besonders hart arbeiten.«
Das erinnerte mich an Sally. Ich griff zum Telefon. Nicht daheim. Aber es war auch nicht einer ihrer Tauber-Spitz- Abende. Also war sie vermutlich im Sender. Sally arbeitete hauptberuflich in den Extremschichten einer aktuellen Redaktion. Ich rief dort an. »Du solltest eine Farbtherapie machen«, sagte ich, »wegen deiner Hüften.«
»Du«, raunte sie ganz dicht am Hörer, »ich habe jetzt gera de voll zu tun. Aber hol mich doch ab um zwölf, wie immer an der Funkhauspforte. Ja?«
»Okay.«
Ich holte den Kaffee und blätterte auf meiner alten Couch das Kilo Papier über Kraftsport durch, das mir Karin Becker im Lauf des Nachmittags aus dem Archiv hochgeschickt hat te. Vor hundert Jahren war alles schon mal da gewesen. Damals nannte man es »müllern« nach dem Dänen Müller, der ein populäres Kraftsporttraining erfunden hatte. Auch der schmächtige Franz Kafka hatte gemüllert, es seiner Verlobten empfohlen und zufrieden notiert: »Die Waden gut, die Schenkel nicht schlecht, der Bauch geht noch an.« Bis zum Ende der Weimarer Republik stellten Bodybuilding und Intellektualität keine unvereinbaren Gegensätze dar. Nun gut, heute joggte halt jeder.
Ich warf einen Blick aus meinem Küchenfenster.
Unten rasten die Tiefergelegten stadtwärts. Leer die Haltestelle Stöckach. Drüben im dritten Stock der Staatsanwaltschaft brannte ein Licht, und im Gebäude höhlte eine Einfahrt zu einem Hinterhof, dessen Rollgitter – ungewöhnlich um diese Stunde – hochgefahren war.
Das wollen wir doch mal sehen! Ich band mir eine Krawat te um, nahm Jacke und Schlüssel, treppelte hinunter auf die Straße, überquerte Straße und Bahngleise und bog in den Gebäudetunnel ein. In der Tat, jenseits der Schranke stand Webers bleigrauer Mercedes einsam im Flutlicht. Der Mann war mit seinem Beruf verheiratet.
In dem viel zu hoch gelegenen Pförtnerfenster erschien ei ne Glatze. Darunter arbeiteten Kaumuskeln. In einer Hand die Stulle. Ich setzte auf meinen Judopass, dessen Cover dieselbe hellblaue Farbe hatte wie die Dienstausweise der Steuerfahnder, schwenkte das aufgeklappte Portemonnaie an der Pfört nerscheibe vorbei und presste meine Stimme durch die Bän der: »Nerz zu Oberstaatsanwalt Weber, Mahlzeit!«
Der Türöffner summte. Ich rangelte mich durch zwei schwere Glastüren.
Die Verwaltung öffentlicher Gebäude kannte ihren Kafka. Die Beleuchtung erinnerte an Tiefgaragen um Mitternacht, der Wandanstrich an den Heizungskeller eines Krankenhauses und die Gänge an Umzug. Überall Kabelrollen, Kisten, Röh ren und Rollwagen mit Akten. Ich stieg ein Nachkriegstreppenhaus mit rotem Plastikhandlauf hinauf. Im Gang des dritten Stocks wies mir ein Lichtschein unter einer Türritze den Weg.
Im Vorzimmer herrschte auch in Abwesenheit die Sekretärin. Unterm Waschbecken paarten sich goldbestickte Pömps. Topfpflanzen wucherten auf dem Fensterbrett. An der Tele fonanlage miaute ein Porzellankätzchen neben bonbonfarbenen Haarspangen.
In der Kaffeemaschine dampfte eine pechschwarze Einbrenne. Ich knipste die Maschine aus, zog die Kanne von der Heizplatte und öffnete die nächste Tür.
Dr. Weber saß hinter einem Schreibtisch, der nicht einmal mehr auf dem Sperrmüll Liebhaber gefunden hätte, unter dem grünlichen Licht einer Sechzigwattbirne, hinter ihm das schwarze Fensterviereck, an der Wand Regale mit dem Purpur und Blau juristischer Werke, die Löcher von Leitzordnern wie Perlenschnüre, eine Karte von Baden-Württemberg. In einer dunklen Ecke stand außerdem ein grauschwarzes Schwergewicht von Tresor mit Zahlenkranz und Türhebel.
Weber legte den Kugelschreiber hin. »Können Sie nicht anklopfen?«
»Der Kaffee ist fertig.« Ich kellnerte ihm die zähe Brühe in die Tasse neben dem vollen Aschenbecher.
Er lehnte sich zurück. »Wie kommen Sie hier herein?«
Ich konnte mich gerade noch daran hindern zu prahlen, denn schließlich durfte ich den Pförtner nicht in die Pfanne hauen, und brachte
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