Gaisburger Schlachthof
die andere Seite warf.
Auch dort machten die Zuschauer Platz. Ich sah eine Trep pe. Aber da war ein junger Mann mit Oberlippenbart, Jeans der Marke Discount, offenem Hemd und Goldkettchen, der am Sonntagnachmittag nichts Besseres zu tun hatte, als zum Helden zu werden. Von beherztem Eingreifen würde anderntags in der Presse die Rede sein. Mein Fehler war, dass ich ihm ausweichen wollte. Er erwischte mich am Arm. Ich fiel, er rammte mir die Knie ins Kreuz und drehte mir den Arm auf den Rücken. Kalter fettiger Stein an meiner Backe, eine plattgetretene Zigarettenkippe floh vor meinem Atem, Staub kam zurück. Abklopfen half nicht. Ich jaulte.
»Loslassen!«, hörte ich eine Frau hysterisch schreien. »Tun Mädle weh!«
Da erschienen schon schwarze Turnschuhe vor meiner Na se. Polizeiuniformen schienen beim Schuhwerk flexibel. Der Jungbulle übernahm den Griff und drehte mir den anderen Arm auf den Rücken. Stahl ratschte um meine Handgelenke. Dann stand ich wieder, vom Milchbartpolizisten am Ellbogen gehalten, kam aber mit der Hand nicht ans Gesicht, um mir die Staubkrümel von der Backe zu wischen.
»Die Polizei, dein Freund und Helfer«, grinste der Discountheld.
Die Umstehenden lachten.
»Tun Mädle weh! Was hat gemacht?«, greinte die Frau noch mal, die ich jetzt sah, kleiner als breit, geblümt, gemustert, mit schwarzen Augen, fanatischen, bohrenden, geängstigten Augen, gerötet unter polizeistaatlichen Übergriffen in einem anderen Land.
Nun hetzten auch die beiden Wachmänner eine Treppe hinauf. Sie hatten die Unterführung genommen, ebenso wie der zweite Polizist, ein Obermeister mit drei grünen Sternen. Die Leute wichen nicht unbedingt respektvoll aus, als die Polizisten mich abführten.
26
Man brachte mich zum Verwaltungsakt ins Innenstadtrevier, das im Schwabenzentrum untergebracht war. Wenn Weininger eine Fahndung nach mir hatte auslösen können, musste er etwas Handfestes gegen mich haben. Aber dazu wollten die von der Trachtengruppe nichts sagen. Ich saß eine halbe Stun de auf der spiegelglatten Holzbank in der Schleuse des Innenstadtreviers und suchte vergeblich nach Haltung. Die Prellung am Lendenwirbel war trotz Noradrenalins schlecht für die Moral. Eine Nacht im Polizeigewahrsam auf der Betonpritsche würde ich nicht durchstehen. Weininger brauchte mich erst morgen dem Ermittlungsrichter vorzuführen.
Nachdem die Uniformierten mit den Computerproblemen fertig geworden waren, schloss mich der Milchbubi wieder. Wir bestiegen erneut den Streifenwagen und fuhren hinauf zur Landespolizeidirektion in der Hahnemannstraße.
Da kam ich aus dem Auto schon aus eigener Kraft nicht mehr hinaus. Der Milchbubi musste nachhelfen. Zu Fuß ging es dann doch wieder ohne fremde Hilfe. Ich verlangte einen Arzt. Darauf wollten sich die Uniformierten nicht einlassen. Während der Polizeiobermeister den Kriminaloberkommissar Weininger suchen ging, musterte mich der Milchbubi herablassend. Diese Haltung brachte man den Kerlen wohl extra bei, und dann trainierten sie sie daheim vor dem Spiegel: Lassen Sie sich auf nichts ein. Reden Sie nicht. Gehen Sie immer davon aus, dass der Delinquent darauf aus ist, Sie zu verarschen.
Weininger kam, und zwar mit meiner Lederjacke, die ich zu Hause zurückgelassen hatte, und deren Inhalt in einer Tüte. Der Milchbubi nahm mir endlich die Handschellen ab. Wei ninger öffnete mir die Tür zum Vernehmungsraum. Die bei den Streifenbeamten verabschiedeten sich wortkarg und eilig.
»Wo haben Sie denn Heiliger gelassen?«, erkundigte ich mich, als Weininger die Tür zumachte.
»Den habe ich heimgeschickt. Er hat Frau und Kinder.«
»Ich möchte einen Arzt!«
»Nicht so hastig.« Weininger setzte sich an den Tisch, brachte sein Gemächt in eine bequeme Lage. »Setzen Sie sich erst mal, Frau Nerz.« Er schlug eine Mappe auf, in der obenauf ein rotes Blatt Papier lag. Etwa ein Haftbefehl? »Damit Sie uns nicht wieder eines Formfehlers überführen, bringe ich Ihnen zunächst den Haftbefehl zur Kenntnis. Einverstanden?«
»Wo haben Sie den so schnell her?«
»Das hat schon alles seine Richtigkeit, Frau Nerz. Glauben Sie mir. Also: Für Frau Lisa Nerz, wohnhaft in der Neckarstraße und so weiter, deutsche Staatsangehörigkeit, wird die Untersuchungshaft angeordnet. Sie wird beschuldigt, Frau Gertrud Fängele, wohnhaft in … und so weiter am Donnerstagabend, den 30. April, in ihrem Büro im Fitnesscenter Schlachthof in der Wangener Straße …«
»Wie bitte? Zeigen Sie mal
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