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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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der Dinger ein.
    Der Rush kam fast sofort. Ich jagte Emma die Weinsteige hinauf. Ein sonniger Tag lag vor uns. Rechts im Kessel das Städtchen verfranst mit den grünen Hängen. Immer wieder schön. Glückselig diejenigen, die in Stuttgart leben dürfen! Noch glücklicher diejenigen, die ein Kabäuschen im Stuttgar ter Anzeiger ihr Eigen nannten. Der Fotograf hatte phänomenale Fotos mitgebracht. Mein Artikel sprühte vor Geist und Witz. Es war alles überhaupt kein Problem, auch nicht, dass Richard nicht anrief. Heute Abend musste er auf jeden Fall mit mir essen gehen, sich von mir mit Weiningers Besuch in seinem Büro aufziehen lassen und sich meine Ideen in Sachen Horst und Gertrud anhören, die mir im Moment wieder sehr plausi bel vorkamen.
    In einem Moment geistiger Klarheit gab ich das Wort »Phosphatidylcholin« in meine Suchmaschine ein. Das Ergebnis übertraf alle Hoffnungen, die sich Sally wohl je gemacht hatte. Es handelte sich um ein flüssiges Lecithin, das ursprünglich dazu gedacht war, in Blutgefäßen Fettpfropfen abzubauen, und, unter die Haut gespritzt, Fettpolster auflöste. Kein Absaugen mehr. Eine Spritze reichte. Allerdings musste der Körper dann den ganzen Fettzellenschrott selbst durch die Nieren und Leber schleusen und auspinkeln. Das konnte zu Schocks führen. Außerdem war man sich noch nicht sicher, ob das Zeug wirklich nur Fett auflöste und nicht auch noch jede Menge anderes Gewebe. In Kapseln eingenommen bewirkte es allerdings eher nichts, was über eine Senkung des Cholesterinspiegels hinausging. Na, dann konnte es mir ja auch nicht schaden.
    Ich rodelte die Weinsteige wieder hinab. Emmas Reifen pfiffen. Rechter Hand stiegen Beton, Weinhänge und Wald zur Schillereiche hoch. Linker Hand döste die Stadt ins Tal, lasziv wie eine Frau in grünem Laken unterm Kreuz des Birkenkopfs. Heutzutage trugen auch die Huren wieder Kreuze. Hoppla! Ich musste Emma bremsen und meine Feldherrengedanken. Außerdem war die Staatsanwaltschaft tatsächlich verrammelt und unbemannt. Sämtliche Rollläden waren vor den Ein- und Ausfahrten heruntergelassen. Da gab es kein Hineinkommen.
    Oma Scheible fing mich im Treppenhaus ab. »Sie, höret Sie! Da waret wieder die zwoi Herre da, die wo da schomal nach Ihne gfragt hen. I hen ihne na uffgschlosse.«
    Am heiligen Sonntag? »Haben Sie sich den Durchsu chungsbeschluss zeigen lassen?«
    Oma Scheible wackelte mit dem Kopf. »I hen se doch kennt, die jonge Herre.«
    »Frau Scheible«, sagte ich brusttonig. »Sie sollten misstrauischer sein. Sie wollen doch nicht, dass mir was passiert, oder?«
    »Ja, was wellet die jetzt au von Ihne? Hen Sie vielleicht ebbes ausgfresse? Jetzt schwätzet Se scho, i sags au net weider.«
    »Ich habe nur was Falsches gegessen.«
    Die Alte blickte mir kiefermalmend hinterher.
    Was auch immer Weininger und sein Kompagnon Heiliger bei mir in der Wohnung gesucht haben mochten, sie hatten keine sichtbaren Spuren hinterlassen.
    Ich öffnete das Fenster zum Hinterhof, um den Frühling hereinzulassen, nahm das Telefonbuch und stellte mich ans Küchenfenster, um das Herannahen eines Polizeiwagens rechtzeitig erkennen zu können. Erstaunlicherweise stand Richard mit seiner Privatnummer im Telefonbuch. Er wohnte in der Kauzenhecke, einer der besten Gegenden in der Degerlocher Halbhöhe über der Stadt.
    Leider entschied ich mich dagegen, mein Handy einzuweihen, und das Telefonkabel reichte nicht bis zum Küchenfenster. Ich wählte Richards Kauzenheckennummer. Er hatte seiner Privatsphäre einen Anrufbeantworter vorgeschaltet. »Sprechen Sie nach dem Pfeifton, ich rufe gegebenenfalls zurück.«
    »Lisa hier«, sagte ich ins atmosphärische Rauschen. »Mir ist jetzt alles klar, es ist alles glasklar, oder besser kristallklar.« So viel Klarheit war ja nicht zum Aushalten. Ich kam mit meinen Gedanken gar nicht hinterher, um all die Klarheit zu erfassen, so deutlich lag alles vor mir, viel zu deutlich für ein Traumschaf wie mich. Wie sollte ich das nur jemandem erklären, diese ungeheure Logik! »Klar wie Kloßbrühe, wie man so schön sagt …« Ich hätte besser nichts gesagt. »Bitte Band zurückspulen und löschen!« Das Noradrenalin in Gertruds Kapseln war entschieden zu viel für meinen Verstand.
    Es klingelte an der Tür. Ich war überzeugt, Oma Scheibles Klingeln stets daran erkennen zu können, dass es brüchig und zaghaft war, gewissermaßen nur antippend, wie um nicht gehört zu werden, damit sie Gelegenheit hatte, den Schlüssel ins

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