Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
musste Richard klar sein, hatte er verloren. Es musste ja nicht die Wehrmachtspistole sein. Ich blickte in Christophs steinharte Augen, und eine noch schlimmere Alternative formierte sich in meinem Hirn. »Du hast Weber umgebracht!«, plapperte es aus mir heraus. »Du hast nicht nur Schiller getötet, sondern auch Weber. Erst versuchst du, es auf mich zu schieben, aber weil ich nicht klein beigebe, willst du jetzt alle glauben machen, Weber habe die Konsequenzen eines Feiglings gezogen.«
    »Lisa, du hast doch wirklich Krautwasser im Hirn!«
    Das Kraut blähte ordentlich. Es war noch viel schlimmer, denn am Ende bekam Christoph doch noch seine Hauptverdächtige. Dass ich Horst zum Krüppel geworfen hatte, war allen klar, auch wenn es nie zur Anklage kam. Aber wenn man jetzt auch noch Webers Leiche fand und wenn der Suizid nicht so recht nach Suizid aussehen wollte, dann hatte Christoph mich. Er musste mich nur noch mit dieser Leiche in Kontakt bringen, damit ich Spuren hinterließ.
    »Also gut«, sagte ich. »Gehen wir. Bringen wir es hinter uns.«
    Christoph lächelte, nahm meine Jacke, stand auf und half mir auf die Füße. Als wir durch die leeren Gänge wandelten, blieb er auf Schulterkontakt. Ich erinnerte mich, dass der stille Karateka Waldemar mich darauf hingewiesen hatte, dass Christoph Danträger im Ju-Jutsu war, oder war es Jiu-Jitsu gewesen? Mein Hirn fing langsam an durchzuhängen. Unter Nahkampfsportlern brach jedenfalls die übliche Dreißigzentimeterdistanz meist binnen kurzem zusammen. Über einen Körperkontakt teilten sich Absichten unmittelbarer mit, zum Beispiel Christophs ungeheuerlich runde Siegessicherheit. Der Bulle führte ein Schaf zur Schlachtbank.
    »Ich würde aber gerne noch telefonieren«, sagte ich.
    »Gleich, Lisa!«
    Im Eingangsbereich der Polizeidirektion hingen Fahndungsplakate und Hauspläne, aber es gab kein öffentliches Telefon. Im Judo galt, wer beim Kampf wegen einer Verlet zung nicht gegenhalten konnte, der musste mitgehen, so lan ge, bis der Gegner sich eine Blöße gab.
    Christoph warf meine Jacke auf den Rücksitz seines Dienst-Audis und half mir auf den Beifahrersitz. Über die Pragkreuzung schlingerten die Sonntagsfahrer. An den Straßenbahnhaltestellen pulkten Spaziergänger. Christoph fuhr zum Neckar hinunter und bog Richtung Wilhelma ab. Lachmöwen kreischten über dem Fluss hinter einer grauen Mauer. Autodächer spiegelten die Sonne an der Ampelschlange. Der Zoo sandte Natur in Form von Bäumen und Vögeln in den Spätnachmittagshimmel. Ich zwang mich zu reden.
    »Wo fahren wir denn hin?«
    »Ich bringe dich nach Hause. Was hast du denn gedacht? Du solltest deine Prellung mit Eiswürfeln behandeln. Ich hof fe, du hast Eiswürfel. Als Sportlerin solltest du immer Eiswürfel im Gefrierfach haben.«
    »Und was werden wir außer Eiswürfeln sonst noch finden in meiner Wohnung, nachdem Oma Scheible heute früh so nett war, euch hineinzulassen?«
    Christoph warf mir einen prüfenden Blick zu. »Was sollten wir denn finden? Oder lagerst du Adipoclear in Kisten unter deinem Bett? Das wäre freilich ungünstig. Der Handel damit ist in Deutschland verboten.«
    Kinder wallfahrteten an der Mauer der Wilhelma entlang zur Straßenbahnhaltestelle. Mütter und Väter trugen die Rucksäcke hinterher. Der junge Mai grünte im Rosensteinpark bis an die Schienen herab. Der Cannstatter Tunnel, mit bürgerli chem Namen Schwanentunnel, schluckte uns unters ehemali ge Bundesgartenschaugelände mit seinen angemoosten Spring brunnen. Die Verkehrsführung zwang zu kurzfristigen Spurenwechseln im Dunkeln von ganz rechts nach ganz links. Ich versuchte krampfhaft, auf der Spur zu bleiben. Wenn Christoph bei mir irgendwelche grünen Schachteln finden wollte, um mich unter Druck zu setzen, dann brauchte er einen neutralen Zeugen dafür, der den Fund gerichtsverwertbar machte.
    Überraschenderweise lauerte Oma Scheible nicht im Treppenhaus. Dabei hätte sie mir jetzt mit ihrem Schlüssel dienen können, denn meiner war beim Sprung aus dem Fenster in der Wohnung geblieben. Christoph musste mich alleine lassen und tat es im Vertrauen auf meine Rückenlähmung. Er brach te die Alte vom Hinterhof. Dort war man immer noch dabei, den Schaden zu diskutieren, den ich vor einigen Stunden angerichtet hatte.
    »I hen mir scho Sorge gmacht«, sagte Oma Scheible mit leuchtenden Augen. »Sie hen sich doch nix do beim Falle?«
    Stufe um Stufe vermehrte sich die Summe der zu Bruch gegangenen Tassen, Teller, der

Weitere Kostenlose Bücher