Gaisburger Schlachthof
das Risiko, mir bis morgen Bedenkzeit zu geben. Er gehörte zu den Männern, die den Autoschlüssel stets zur Hand hatten. »Wohin soll ich Sie fahren?«
»So geht das nicht«, sagte Christoph.
Sofort hatte er alle gegen sich, Matuscheks Mit-mir-nicht-Blick, den Vorwurf in Frau Matuscheks Augen, Oma Scheibles öligen Aalsuppenblick, schließlich die nackte Angst in den Augen der Kinder.
»Ich meine«, variierte er hastig, »wir werden meinen Wa gen nehmen. Ich stehe nämlich im Parkverbot.«
Das leuchtete Matuschek unmittelbar ein. Die Expedition begab sich die Treppe hinab. Draußen schien immer noch die Sonne. Es war schweißtreibend warm.
Matuschek befand, dass ein Mann vorne einstieg. Also musste Christoph mich hinten platzieren. Als er um den Wagen herumging, um vorne einzusteigen, kurbelte ich – was mir den Saft in die Augen trieb – das Seitenfenster runter und sagte in die begriffsstutzigen Gesichter der beiden Frauen am Bordstein: »Rufen Sie die Polizei. Sie muss hier sein, wenn wir wiederkommen. Sagen Sie denen irgendwas. Es geht um Leben und Tod.«
Dann saß Christoph im Auto und startete. Er kurvte am Abzweig Hackstraße rechtswidrig über die Schienen auf die Gegenfahrbahn, fuhr am Bunker der Staatsanwaltschaft entlang und gewann das Neckartor. Gleich drüben auf der anderen Seite der Stadtautobahn befand sich die Badische Beam tenbank, die mit einem Automaten warb. Doch zunächst spül te uns der Verkehr am Planetarium vorbei auf die Kreuzung zwischen Wagenburgtunnel in den Osten und Hauptbahnhof. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass die Querstraße Schillerstra ße hieß.
Christoph machte einen U-Turn, fuhr zum Neckartor zurück und bog in die Zufahrt zum kupferbewehrten Prunkportal des Hotels Intercontinental – heute Le Meridien – ein. Dort reihten sich Nobelschlitten entlang der Fassade.
Als wir Christophs Audi entstiegen, der Polizist in Jeans und Knitterhemd, Matuschek in Shorts mit Bauch und Badeschlappen und ich in fleckigem T-Shirt mit gepflasterten Händen und nicht gesellschaftsfähigem Gesicht, eilte ein Portier herbei, um uns zu erklären, dass wir hier nicht stehen bleiben könnten. Christoph zog seinen Dienstausweis. Daraufhin wur de Matuschek nervös und eilte voraus Richtung Bank. Christoph hatte ebenfalls keine Zeit zu verlieren. Ich holte alles an Langsamkeit aus mir heraus, was in mir steckte.
Das polierte Bollwerk der Bank aus lachsfarbenem Marmor mit schwarzen Punkten dehnte sich. An der Panzerglaspforte ließ ich die Karte erst einmal fallen, ehe ich sie in den Schlitz bekam, der als Türöffner diente. Der Automat in der Eingangsschleuse war an sich schon langsam. Er wies meine Karte zweimal ab, weil ich sie falsch herum hineingesteckt hatte. Dann irrte ich mich zweimal in der Geheimnummer. Bis der Computer den Irrtum meldete, vergingen jeweils Minuten. Christoph und Matuschek traten die Schweißperlen auf die Stirn, während ich versuchte, mir darüber klar zu werden, was für mich vorteilhafter war – dass Matuschek sein Geld bekam oder dass er es nicht bekam. Dann fiel mir die Geheimnummer tatsächlich nicht mehr ein, und ich hätte mich gern ins Bett gelegt und die Decke über den Kopf gezogen.
»Überlegen Sie in aller Ruhe«, sagte Matuschek ungeduldig. »Es eilt ja nicht. Lassen Sie sich Zeit.«
Ich unterdrückte das Bedürfnis aufzugeben und tippte zum dritten Mal die Nummer. Die Bildschirmmaske listete die Summen auf. Fünfhundert reichten. Der Computer rechnete gemächlich. Dass Matuschek nicht gleich selbst Zugriff, als die Scheine kamen, war alles. Er trat von einer Badeschlappe auf die andere, während ich einen Hunderter aus meinem Geldbeutel dazutat.
Dass ich meinen Geldbeutel nicht bei meiner Jacke im Au to gelassen hatte, war der entscheidende Denkfehler. Denn andernfalls hätte auch Matuschek zum Auto zurückmüssen und hätte sich wahrscheinlich heimkutschieren lassen. So aber sackte er die Scheine ein, bedankte sich, erklärte, die paar Meter könne er zu Fuß gehen, und eilte übers Neckartor Richtung Neckarstraße von dannen. Noch einer, der Polizisten nicht mochte.
Christoph übernahm endlich die Alleinregie. Es hatte keinen Sinn, an der Pforte des Interconti eine Szene zu machen, denn wer rief schon die Polizei, wenn ein Polizist bei mir war?
Christoph hielt mir die Wagentür auf, startete, machte ein illegales Wendemanöver am Neckartor, fuhr am Planetarium vorbei, bog in die Schillerstraße ein und hielt auf das grünbärtige Maul des
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