Galaxy Tunes®: Roman (German Edition)
Treppenfluchten jedes Mal die Richtung wechselten. Aber die Stufen und Absätze waren klarer als Museumsvitrinenglas und wurden von diesen mattschwarzen Wänden begrenzt. Dadurch sah es aus wie ein endloser Tunnel, der sich zu einem unsichtbaren Punkt verjüngte. Ich zeigte auf die oberste Stufe und befahl meinen Jüngern voranzugehen. Obwohl ich mich inzwischen an Höhen gewöhnt hatte, wollte ich bei dem Marsch in diese scheinbar unendliche Grube auf gar keinen Fall die Vorhut bilden.
Also ging der Gefängniswärter als Erster. Und das erwies sich als großes Glück.
14
Stairway to Heaven
Der Gefängniswärter glitt ohne Schwierigkeiten die ersten paar Stufen hinunter, doch dann verlor seine glitschige Unterseite den Halt auf der glatten Treppe. Als er ins Rutschen kam, wurde sein Kopf zurückgeworfen, und das gruselige Auge wurde plötzlich leblos und unfokussiert. Kurz darauf rollte er. Jeder, der unter ihm gestanden hätte, wäre mitgerissen und zerquetscht worden, als er auf dem ersten Treppenabsatz gegen die Wand knallte – eine brutale Kollision, die ihn zurückschleuderte und die nächste Treppenflucht hinunterwarf. Er prallte vielleicht dreimal auf, bis er den nächsten Absatz erreichte. Dort krachte er noch heftiger gegen die Wand und flog die nächste Treppenflucht in einem Satz hinunter. Danach klatschte er auf dem Weg nach unten nur noch von einer Wand gegen die nächste, immer härter und immer schneller – wie eine widerliche, matschige Flipperkugel. Wir beobachteten, wie er mehrere Dutzend Treppenfluchten hinuntersauste, bis wir ihn nicht mehr erkennen konnten.
»Dieser Glückspilz«, murmelte Frampton, als er aus unserem Sichtfeld verschwand.
» Glückspilz? Habe ich ihn nicht gerade … getötet?« Bei dieser Vorstellung wurde mir übel. Unser Gefängniswärter war kein Mensch gewesen, aber ein intelligentes und bewusstes Lebewesen. Machte mich das nicht zum Mörder?
»Eigentlich ist es eher so, dass du ihn ins Paradies geschickt hast.«
»Fast buchstäblich«, stimmte Carly zu. »Sein Körper erschlaffte, als eine massive Überproduktion von Endorphinen eine Gehirnblutung bei ihm auslöste. Das erzeugt nicht nur das Gefühl der höchsten Glückseligkeit, sondern führt auch dazu, dass die Zeit subjektiv stehen bleibt. Also hast du ihn im Prinzip in den Zustand ewiger Ekstase versetzt.« Offenbar missverstand sie den entsetzten Ausdruck, den mein Gesicht weiterhin zeigte, und fügte hinzu: »Keine Sorge – es ist eine nichtsexuelle Empfindung. Größtenteils.« Dann begann sie die Treppe hinunterzusteigen.
»Die Musik der Menschheit hatte in der Anfangszeit eine solche Auswirkung auf ganze Gesellschaften«, rief Frampton mir ins Gedächtnis, als wir ihr folgten.
»Richtig«, sagte ich. »Aber ich dachte, alle die dafür anfällig waren, wären … inzwischen ausgestorben.«
»Anscheinend hat Live-Musik eine tödlichere Wirkung auf manche Lebewesen als Aufzeichnungen«, sagte Carly. »Das hatten wir schon immer vermutet, aber jetzt wissen wir es.« Sie blieb unvermittelt vor der Wand auf dem dritten Treppenabsatz stehen und sah sie sich sehr genau an. »Ich glaube, wir sind da.«
»Wo?«
»Im Territorium der Wächter. Wir sind jetzt unterhalb der orbitalen Zone.« Dann zischte die Wand vor uns nach oben, wie ein altmodisches Rollo. Dahinter lag ein leerer achteckiger Raum mit transparenten Wänden und einem mattschwarzen Boden. Draußen war es Nacht, und ein strahlend heller galaktischer Kern funkelte am Himmel. Ich blickte nach unten und sah, dass wir uns im höchsten Gebäude einer endlosen Stadt befanden, die sich glitzernd unter und um uns herum ausbreitete. Die Krümmung des Planeten war am Horizont deutlich sichtbar.
»Treten Sie ein, wer auch immer Sie sind«, drängte eine mürrische Stimme vom gegenüberliegenden Ende des Achtecks. »Und machen Sie schnell. Sie stehen nicht in meinem Terminkalender. Wenn also meine nächste Verabredung fällig ist, sind Sie draußen. Aber wo Sie schon einmal hier sind, können Sie genauso gut Ihren Namen, Ihre Spezies und Ihren Herkunftsplaneten nennen – und mir verraten, warum Sie hier hereinplatzen.«
Carly und Frampton sahen mich an. Anscheinend war ich nun der Sprecher unserer Gruppe. Und mir wurde mit leichtem Schrecken bewusst, dass ich damit gut leben konnte. Sogar sehr gut. Seit Carly und Frampton in mein Leben getreten waren, hatte ich die ganze Zeit nur die Anweisungen anderer Leute befolgt. Erst als ich in der
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